Cristóbal
dass er sich mit so etwas überhaupt beschäftigte. Wir hatten immer gedacht, er habe sein Unvermögen, Geld zu machen, obwohl er ein Genuese war, seit langem akzeptiert und sich, nachdem er alle Schmach im wörtlichen wie im übertragenen Sinne ausgetrunken hatte, in sein Los ergeben.
Mit feierlicher Stimme erklärte er:
«Wer Zahlen nicht liebt, kann auch von ihnen nicht geliebt werden.»
Susanna, unsere Mutter, zuckte mit den Schultern. Sie machte wenig Aufhebens um die Erleuchtungen ihres Gatten, die ebenso häufig waren, wie sie folgenlos blieben und den mageren Alltag der Familie nicht verbesserten.
Dass er sich plötzlich von den Zahlen verfolgt fand, freute meinen Vater sehr. Er sah darin die Erklärung und die Entschuldigung für seine gescheiterten Unternehmungen. Aber wie konnte verhindert werden, dass diese Feindseligkeit auf seine Nachkommenschaft überging? Über diese Frage zermarterte er sich wochenlang das Hirn, bevor er mit einer Lösung aufwartete.
«Ich hab’s!»
«Und durch welches Wunder wirst du plötzlich Zahlen lieben?», fragte Susanna.
«Für mich ist es zu spät. Aber ich habe einen Lehrer gefunden, der sich unserer Kinder annehmen wird.»
Es handelte sich um einen Araber aus Algier, einen gewissen Herrn Haddad, einen ehemaligen Steuermann, der plötzlich unter Seekrankheit litt. Er war halbtot von Bord gegangen und wollte unter keinen Umständen wieder ein Schiff besteigen. Schon der Anblick des Hafens erfüllte ihn mit Schrecken. Er schlug sich durchs Leben, unter anderem mit Unterricht, dessen Stoff er aus sehr altem Wissen in seiner Familie schöpfte.
Eine Gruppe von Vätern, arm wie der unsere und wie dieser überzeugt, es liege am Fluch der Zahlen, dass sie es nicht geschafft hatten, reich zu werden, hatte sich zusammengetan, um mit etwas Geld den alten Seemann zu bezahlen.
Meine Mutter protestierte.
«Schon wieder eine deiner Schnapsideen! Kommt nicht in Frage, dass du diesem Gauner auch nur einen Heller gibst.»
Mein Vater schlug die Tür hinter sich zu und kehrte wenig später mit dem alten Seemann zurück.
«Jetzt liegt es an dir», sagte er zu ihm, «überzeuge diesen Drachen, und du machst das Geschäft.»
Das außerordentlich zartfühlende, fast an Unsicherheit grenzende Betragen und die Stimme des Kandidaten machten einen günstigen Eindruck. Doch meine Mutter widerstand. Sie wollte nicht glauben, dass diese Übungen nützlich waren.
«Im täglichen Leben braucht man diese wirren Dinge nicht!»
«Es war einmal…», begann der Kandidat, und die ganze Familie samt dreier Katzen hörte gebannt zu.
Es war einmal in Bagdad, zehn Jahrhunderte nach Jesus Christus, das heißt ungefähr vier Jahrhunderte vor unserer Zeit (und beim Aussprechen dieses «ungefähr» blitzte es auf dem alten Gesicht kurz schelmisch auf, was bewies, dass seine Jugendlichkeit sofortzurückkehren würde, sofern sich das Leben weniger grausam erwiese), ein Kalif namens Al-Ma’mun. Dieser Kalif war manchmal grausam wie alle Kalifen, doch in der übrigen Zeit lag ihm das Wohlergehen seines Volkes am Herzen.
Der Kalif hatte dieselbe berechtigte Sorge wie Ihr, verehrte Dame (er verbeugte sich in Richtung unserer Mutter): Er war nicht bereit, die Mathematiker zu achten – und sie zu bezahlen –, solange sie nicht ihre Nützlichkeit bewiesen hatten. Er rief den zu sich, den seine Ratgeber als den fähigsten bezeichnet hatten: Al-Chwarizmi. Wie sein Name sagt, stammte er aus Chwarizmi, einer Gegend in Zentralasien im Süden des Aralsees. Der Kalif gab ihm den Auftrag «zu erhellen, was dunkel ist, und leichter zu machen, was schwierig ist». Al-Chwarizmi verbeugte sich, dankte für diese Ehre und zog sich in die Zelle zurück, die man ihm im Innern des Hauses der Weisheit gegeben hatte. Zwei Jahre lang kam er nicht heraus, und niemand hatte das Recht, ihn dort zu stören. Seine Mahlzeiten stellte man auf einer Fensterbank ab.
Endlich kam er heraus. Seine Augen wurden vom Sonnenlicht geblendet, so lange war er eingeschlossen gewesen. In seinen Händen hielt er beschriebene Blätter, die er so schnell wie möglich dem zeigen wollte, der mit einer für einen Herrscher ungewöhnlichen Geduld gewartet hatte.
«Du hast dir Zeit gelassen», sagte der Kalif. «Ich hoffe für dich, dass du mich nicht enttäuschst.»
«Mein Buch ist eine Zusammenfassung, das die feinsten und edelsten Rechenverfahren umfasst, die Menschen fortwährend benötigen bei ihren Erbschaften, Vermächtnissen, Teilungen,
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