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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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winterlich kalt, und Amy fröstelte in ihrem dünnen Hemd.
    »Wir brauchen ein Fahrzeug«, sagte Wolgast.
    Doyle huschte zur Tür hinaus. Eine Minute später
war er wieder da und hielt einen Autoschlüssel in der Hand. Irgendwo hatte er
auch eine Pistole gefunden, eine .45er. Er führte Wolgast und Lacey zum Fenster
und zeigte hinaus.
    »Der ganz hinten, am Ende des Parkplatzes. Der
silberne Lexus. Sehen Sie ihn?«
    Wolgast sah ihn. Der Wagen war mindestens
hundert Meter weit entfernt.
    »Nette Karre«, sagte Doyle. »Man sollte meinen,
der Fahrer lässt den Schlüssel nicht einfach unter der Sonnenblende.« Doyle
drückte ihm die Schlüssel in die Hand. »Nehmen Sie die. Sie gehören Ihnen. Für
alle Fälle.«
    Es dauerte einen Moment. Dann begriff Wolgast.
Der Wagen war für ihn, für ihn und Amy. »Phil ...« Doyle hob die Hände. »Keine
Widerrede.«
    Wolgast sah Lacey an, und sie nickte. Dann kam
sie zu ihnen. Sie küsste Amy und strich ihr über das Haar, und dann gab sie
auch ihm einen Kuss auf die Wange. Eine tiefe Ruhe und ein Gefühl der
Gewissheit strahlte von dort, wo ihr Mund ihn berührt hatte, durch seinen
ganzen Körper. So etwas hatte er noch nie empfunden.
    Sie gingen hinaus, Doyle vorneweg. Im Schutze
des Gebäudes bewegten sie sich schnell voran. Wolgast kam kaum mit. Irgendwo
hörte er wieder Schüsse, aber anscheinend wurde nicht auf sie geschossen, sondern
in die Höhe, auf Bäume und Dächer. Wahllos wie bei irgendeiner gespenstischen
Festlichkeit. Jedes Mal hörte er einen Schrei, es war einen Augenblick lang
still, und dann wurde weiter geschossen.
    Sie erreichten die Ecke des Gebäudes. Auf der
einen Seite war der Wald, auf der anderen der hell erleuchtete Parkplatz. Der
Lexus stand ganz weit hinten, und das Heck war ihnen zugewandt. Sonst waren
keine anderen Autos auf dem Parkplatz, die ihnen Deckung geboten hätten.
    »Wir müssen einfach rennen«, sagte Doyle. »Sind
Sie so weit?« Wolgast war außer Atem, aber er nickte. Sie rannten los, auf den
Wagen zu.
     
    Richards fühlte ihn, bevor er ihn sah. Er fuhr
herum und schwenkte das RPG wie einen Hochsprungstab.
    Es war nicht Babcock.
    Es war nicht Zero.
    Es war Anthony Carter.
    Er hockte fünf Meter von ihm entfernt, hob den
Kopf, drehte das Gesicht zur Seite und schaute Richards abschätzend an. Seine
Haltung hatte etwas von einem Hund. Blut glitzerte auf seinem Gesicht, auf den
klauenartigen Händen, den Reihen seiner nadelspitzen Zähne. Ein klickendes
Geräusch kam aus seiner Kehle. Langsam und in einer genussvoll trägen Bewegung
richtete er sich auf. Richards nahm seinen Mund ins Visier.
    »Aufmachen«, sagte Richards und feuerte.
    Schon als die Rakete aus dem Lauf schoss und die
Wucht des Rückstoßes ihn rückwärts taumeln ließ, wusste er, dass er nicht
getroffen hatte. Da, wo Carter gestanden hatte, war niemand mehr. Carter war in
der Luft. Carter flog. Dann fiel er, schnellte auf Richards herunter. Die Panzerabwehrrakete
explodierte und riss die Front des Chalets auf, doch das hörte Richards nur
dumpf - das Krachen verhallte, wich in unglaubliche Ferne zurück -, denn er
erlebte das für ihn völlig neue Gefühl, in zwei Hälften gerissen zu werden.
    Die Explosion erreichte Wolgast als weißer
Blitz. Eine Wand aus Hitze und Licht traf seine linke Gesichtshälfte wie ein
Schlag. Dann wurde er hochgewirbelt, und Amy glitt aus seinen Armen. Er schlug
auf dem Asphalt auf und rollte zweimal um sich selbst, ehe er auf dem Rücken
liegen blieb.
    Es dröhnte in seinen Ohren, und sein Atem schien
tief unten in der Brust in einer Röhre festzustecken. Über sich sah er das
tiefe, samtige Schwarz des Nachthimmels und die Sterne, Hunderte und Aberhunderte
von Sternen, und einige von ihnen regneten herab.
    Sternschnuppen, dachte er. Dann dachte er: Amy.
Dann dachte er: Schlüssel.
    Er hob den Kopf. Amy lag ein paar Meter weiter,
mit dem Gesicht nach oben. Rauch hing in der Luft, dick und beißend. Im
flackernden Schein des brennenden Chalets sah sie aus, als schlafe sie: eine
Gestalt aus einem Märchen, die Prinzessin, die eingeschlafen war und nicht aufwachen
konnte. Wolgast rollte sich auf alle viere herum und tastete den Boden in
panischer Hast nach dem Schlüssel ab. Er spürte, das eins seiner Ohren
verletzt war; es war, als habe sich ein Vorhang über die linke Hälfte seines
Kopfes gelegt, der alle Geräusche aufsaugte. Der Schlüssel, der Schlüssel. Erst
jetzt merkte er, dass er ihn noch in der Hand hielt. Er hatte ihn gar

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