Cronin, Justin
meine Freunde in der Joseph Penneil Elementary School erinnern und
an ein kleines Mädchen namens Sharise, die unten an der Ecke wohnte; wir beide
konnten stundenlang miteinander schwatzen. Im Zug habe ich nach ihr gesucht,
doch ich habe sie nicht gefunden.
An meine Adresse erinnere ich mich noch. 2121
West Laveer. Da war ein College in der Nähe, und es gab Geschäfte und belebte
Straßen und alle möglichen Leute, die da jeden Tag hin und her gingen. Und ich
weiß noch, wie mein Daddy mich mal mit dem Bus in die Stadt mitnahm, raus aus
unserem Viertel, damit ich die Weihnachtsschaufenster sehen konnte. Da kann
ich nicht mehr als fünf Jahre alt gewesen sein. Der Bus fuhr am Krankenhaus
vorbei, wo mein Daddy arbeitete. Er machte dort Röntgenaufnahmen. Das waren
Fotos von den Knochen der Leute. Den Job hatte er, seit er vom Militärdienst
zurückgekommen war und meine Mama kennengelernt hatte, und er sagte immer, es
wäre der perfekte Job für einen Mann wie ihn, sich die Dinge von innen
anzusehen. Eigentlich hatte er Arzt werden wollen, aber Röntgenfotograf war
fast genauso gut. Er zeigte mir dann die Schaufenster, die zu Weihnachten bunt
dekoriert waren, mit Lichtern und Schnee und einem Baum und Figuren, die sich
bewegten - Elfen und Rentiere und alles Mögliche. Ich war so glücklich wie noch
nie im ganzen Leben, weil ich so etwas Schönes zu sehen bekam und wir beide da
in der Kälte standen, wir beide zusammen. Wir wollen ein Geschenk für Mama
kaufen, sagte er und legte mir seine große Hand auf den Kopf, wie er es immer
machte. Einen Schal, oder vielleicht ein Paar Handschuhe. Alle Straßen waren
voll von Leuten. So viele Leute, alte und junge, und jeder sah anders aus. Noch
heute denke ich gern daran und wandere in Gedanken zurück zu diesem Tag.
Niemand weiß mehr, was Weihnachten war, aber es war ein bisschen wie heute die
Erste Nacht. Ich weiß nicht mehr, ob wir Schal und Handschuhe gekauft haben
oder nicht. Wahrscheinlich ja.
Jetzt ist das alles nicht mehr da. Auch die Sterne
nicht. Manchmal denke ich, diesen Anblick vermisse ich am meisten aus der Zeit
Davor. Vom Fenster meines Zimmers aus konnte ich über die Dächer der Häuser
schauen und sie sehen, diese Lichtpunkte am Himmel, die da hingen, als ob Gott
selbst seine Weihnachtsbeleuchtung da aufgehängt hätte. Meine Mama sagte mir,
wie ein paar davon hießen, und dass man Bilder sehen könnte, wenn man sie eine
Weile anschaute, einfache Dinge wie Löffel und Leute und Tiere. Ich dachte
immer, wenn man die Sterne ansieht, sieht man Gott. Als schaue man in sein Gesicht.
Es musste dunkel sein, damit man ihn deutlich sehen konnte. Vielleicht hat er
uns vergessen, vielleicht auch nicht. Vielleicht haben wir ihn vergessen, als
wir die Sterne nicht mehr sehen konnten. Ehrlich gesagt sind sie das Einzige,
was ich gern noch einmal sehen würde, bevor ich sterbe.
Es gab noch mehr Züge, glaube ich. Wir hatten
gehört, dass überall welche abfuhren, dass auch andere Städte sie losgeschickt
hatten, bevor die Jumps kamen. Vielleicht war das nur das Gerede von Leuten,
die Angst haben und sich an jedes Fitzelchen Hoffnung klammern. Ich weiß nicht,
wie viele es wirklich schafften, dahin durchzukommen, wo sie hinwollten. Manche
wurden nach Kalifornien geschickt, andere an Orte, deren Namen ich nicht mehr
weiß. Nur von einem einzigen Trupp haben wir noch mal etwas gehört, ganz am
Anfang, als Funkgeräte noch erlaubt waren. Irgendwo in New Mexico, glaube ich,
war das. Aber dann passierte irgendetwas mit ihrem Licht, und danach hörten wir
nichts mehr von ihnen. Wenn Peter, Theo und die andern recht haben, sind wir
die Einzigen, die noch übrig sind.
Über den Zug und Philadelphia und alles, was in
diesem Winter passierte - darüber wollte ich eigentlich schreiben. Es war
schlicht furchtbar. Die Army war überall, nicht bloß Soldaten, sondern auch
Panzer und andere solche Geräte. Mein Daddy sagte, sie sollten uns vor den
Jumps beschützen, aber für mich waren die Soldaten einfach große Männer mit
Gewehren, und die meisten waren weiß. Trau keinem Weißen, Ida - das habe ich
oft genug von meinem Daddy zu hören bekommen, als wären sie alle nur ein
einziger Mann. Heute klingt das komisch, wo alle Leute so miteinander vermischt
sind. Wer das hier liest, weiß wahrscheinlich nicht mal mehr, wovon ich rede.
Wir kannten einen Kerl aus unserem Viertel, der erschossen wurde, nur weil er
versuchte, einen Hund zu fangen. Ich nehme an, er dachte, einen Hund zu
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