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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Schädelseite war deutlich zu sehen. Ihr Kopf war zur Seite
geneigt, als sei ihr etwas heruntergefallen und sie suche danach.
    »Ich bin froh, dass Arlo das hier nicht sieht«,
sagte Alicia leise.
    Schweigend gingen sie zwischen den Reihen der
Bücherregale hindurch. Überall auf dem Boden lagen zahllose Bücher verstreut
wie Schneewehen. Theo deutete mit dem Gewehrlauf zur Treppe.
    »Augen überall.«
    Die Treppe führte hinauf zu einem weiteren
großen Lesesaal, durchflutet vom Sonnenlicht, das durch die Fenster
hereinschien. Ein geräumiger Eindruck entstand dadurch, dass die Regale
allesamt zur Seite geschoben worden waren, um Platz für die Feldbetten zu
machen, die hier in Reihen hintereinander standen.
    Auf jedem Feldbett lag eine Leiche.
    »Das müssen ungefähr fünfzig sein«, flüsterte
Alicia. »Ist das so was wie ein Lazarett?«
    Theo ging zwischen den Reihen der Feldbetten
hindurch. Ein seltsamer Moschusgeruch hing in der Luft. Auf halber Strecke
blieb er an einer Pritsche stehen, bückte sich und hob einen kleinen
Gegenstand auf, etwas Weiches, Schlaffes aus zerfallendem Stoff. Er hielt es
hoch, damit Alicia und Peter es sehen konnten. Eine Stoffpuppe.
    »Ich glaube nicht.«
    Die Bild vor seinen Augen verschwamm, und Peter
begriff plötzlich. Die Leichen waren so klein. Hände aus lederumhüllten Knochen
umklammerten Stofftiere und Spielsachen. Peter tat einen Schritt vorwärts und
hörte und fühlte das Knirschen von Plastik unter seiner Sohle. Eine
Injektionsspritze. Da lagen Dutzende, verstreut auf dem Boden.
    Die Erkenntnis traf ihn wie ein Faustschlag.
    »Theo, das ist ... das sind ...« Die Worte
blieben ihm in der Kehle stecken.
    Sein Bruder war schon auf dem Weg zur Treppe.
»Machen wir, dass wir hier rauskommen.«
    Erst draußen vor der Tür blieben sie wieder
stehen und atmeten die frische Luft in tiefen Zügen. Peter sah Caleb drüben auf
dem Dach der Tankstelle. Er suchte die Umgebung mit dem Fernglas ab.
    »Sie müssen über ihr Schicksal Bescheid gewusst
haben«, sagte Alicia leise. »Dachten sich, es wäre besser so.«
    Theo hängte sich das Gewehr über die Schulter
und trank gierig aus seiner Wasserflasche. Er war aschgrau im Gesicht, und
Peter sah, dass seine Hände zitterten. »Dieser verdammte Zander«, sagte Theo.
»Weshalb zum Teufel musste er herkommen?«
    »An der Rückseite ist noch eine zweite Treppe«,
sagte Alicia. »Wir sollten sie uns ansehen.«
    Theo spuckte aus und schüttelte heftig den Kopf.
    »Lass es gut sein, Lish«, sagte Peter.
    »Was hat es für einen Sinn, das Gebäude zu
überprüfen, wenn wir nicht alles überprüfen?«
    Theo fuhr herum. »Ich will keine Sekunde länger
hierbleiben.« Er war fest entschlossen, und seine Entscheidung war endgültig.
»Wir brennen alles nieder. Und keine Diskussionen.«
    Sie gingen wieder hinein, rissen Bücher aus den
Regalen und warfen sie auf einen Haufen vor dem Ausleihetisch. Das Papier fing
rasch Feuer, und die Flammen sprangen von einem Buch zum andern. Sie liefen
hinaus, und aus einem Abstand von fünfzig Metern sahen sie zu, wie die
Bibliothek brannte. Peter trank aus seiner Wasserflasche, aber nichts konnte
den Geschmack in seinem Mund wegspülen, den Geschmack von Tod und Leichen. Er
wusste, dass seine Augen etwas gesehen hatten, das ihn für den Rest seines
Lebens begleiten würde. Zander war hergekommen, aber nicht nur wegen der
Bücher. Er war gekommen, um die Kinder zu sehen.
    Und in diesem Augenblick begannen die Sandwehen
am Fuße des Gebäudes sich zu bewegen.
     
    Alicia, die neben ihm stand, sah es als Erste.
»Peter ...«
    Der Sand brach überall ein, und die Virais kamen
hervor, krallten sich aus den Dünen herauf, die sich vor die unteren Fenster
geschoben hatten. Ein Schwarm von sechsen, die von den Flammen ins gleißende
Mittagslicht getrieben wurden.
    Sie schrien. Ihr lautes, schrilles Geheul voller
Schmerz und Wut ließ die Luft erzittern.
    Die Bibliothek stand jetzt in hellen Flammen.
Peter hob sein Gewehr, und sein Finger tastete fummelnd nach dem Abzug. Seine
Bewegungen fühlten sich unbestimmt an, ziellos. Alles an dieser Szene erschien
ihm nur halb real. Noch mehr Virais erschienen in dem dicken schwarzen Rauch,
der aus den oberen Fenstern wallte. Die Scheiben explodierten in einem
glitzernden Scherbenschauer, und auf der Haut der Kreaturen loderten flüssige
Feuerschleier. Ihm war, als sei geraume Zeit vergangen, seit er das Gewehr
gehoben hatte, um zu schießen. Der erste Schwarm hatte sich in

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