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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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den Schatten der
Treppe geflüchtet; eng kauerten sie sich zusammen und drückten die Gesichter in
den Sand wie Kinder beim Versteckspiel.
    »Peter, los, nichts wie weg!«
    Als er Alicias Stimme hörte, schüttelte er die
Lähmung von sich ab. Theo stand wie betäubt neben ihm. Der Lauf seines Gewehrs
war nutzlos zu Boden gerichtet, und die Augen in seinem schlaffen Gesicht waren
groß und unbeteiligt: Was soll's?
    »Theo, hör auf mich.« Alicia zerrte wütend an
seinem Arm, und einen Moment lang glaubte Peter, sie würde ihn schlagen. Die
Virais unten an der Treppe regten sich wieder. Ein kollektives Zucken ging
durch ihre Körper wie ein Windhauch, der das Wasser eines Teichs kräuselt. »Wir
müssen weg, sofort!«
    Theo sah Peter an. »Oh, Bruder«, sagte er. »Ich
glaube, wir sind am Arsch.«
    »Peter«, flehte Alicia, »hilf mir.«
    Sie packten Theo bei den Armen und nahmen ihn
zwischen sich, und als sie den Platz halb überquert hatten, rannte Theo von allein.
Das unwirkliche Gefühl war verflogen, und nur ein einziger Gedanke war an
seine Stelle getreten: weg von hier. Als sie um die Ecke der Tankstelle bogen,
sahen sie Caleb davongaloppieren. Sie sprangen auf die Pferde und jagten hinter
ihm her über den harten Sandboden. Hinter ihnen hörte Peter, wie weitere
Fensterscheiben klirrend explodierten. Alicia zeigte nach vorn und schrie durch
den Wind: zur Mall. Offenbar wollte Caleb dort hin. In vollem Galopp stürmten
sie eine Düne hinauf und wieder hinunter auf das leere Gelände, und sie sahen
noch, wie Caleb am Westeingang des Einkaufszentrums aus dem Sattel sprang. Er
schlug seinem Pferd aufs Hinterteil, und es lief davon, als er durch die Tür
verschwand.
    »Rein da!«, schrie Alicia. Sie hatte jetzt das
Kommando. Theo war verstummt. »Los, und lasst die Pferde laufen!«
    Die Pferde waren ein Köder, ein Opfer. Für einen
Abschied war keine Zeit; sie sprangen herunter und rannten in das Gebäude. Der
beste Platz, wusste Peter, wäre das Atrium. Das Glasdach dort war weggerissen,
es gab Sonnenlicht und Deckung, und sie würden sich halbwegs gut verteidigen
können. Sie rannten durch den dunklen Korridor. Die Luft roch schwer und sauer,
die Wände waren vom Schimmel aufgequollen, und rostige Träger, lose Kabel und
verkrustete Rohre traten überall zutage. Vor den meisten Geschäften waren die
Rollläden heruntergelassen, aber andere standen offen wie staunende Mäuler, und
das halbdunkle Innere war übersät von Müll. Peter sah Caleb, der vor ihnen
herrannte, auf das goldene Tageslicht zu, das in breiten Strahlen hereinfiel.
    Im Atrium schien die Sonne so hell, dass sie
blinzeln mussten. Es sah aus wie in einem Wald. Fast jede Fläche erstickte
unter dicken grünen Ranken, und in der Mitte streckten sich ein paar Palmen zur
offenen Decke. Von den Dachträgern hingen Lianen herunter wie verschlungene,
lebende Seile. Hinter einer Barrikade aus umgestürzten Tischen gingen sie in
Deckung. Caleb war nirgends zu sehen.
    Peter sah seinen Bruder an, der neben ihm
kauerte. »Alles in Ordnung?«
    Theo nickte unsicher. Sie alle atmeten keuchend.
»Tut mir leid. Das vorhin. Ich bin einfach ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich
weiß es nicht.« Er wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Ich übernehme die
linke Seite. Bleib du bei Lish.« Er huschte davon.
    Lish kniete neben Peter. Sie zog den Verschluss
ihres Gewehrs zurück. Vier Gänge trafen sich im Atrium. Der Angriff, falls er
käme, würde von Westen her kommen.
    »Glaubst du, die Sonne hat sie erledigt?«,
fragte Peter.
    »Keine Ahnung. Die schienen ziemlich aufgebracht
zu sein. Ein paar vielleicht, aber nicht alle.« Sie schlang sich den Riemen
ihres Gewehrs locker um den Unterarm. »Du musst mir eins versprechen«, sagte
sie. »Ich will keine von denen werden. Wenn es so weit kommt, musst du dich
darum kümmern.«
    »Nein, Lish. Das werde ich nicht tun. Sag so was
gar nicht erst.«
    »Ich sage, wenn es so weit kommt.« Ihre Stimme klang fest. »Du darfst nicht
zögern.«
    Sie hatten keine Zeit mehr zum Reden. Sie hörten
Schritte herankommen. Caleb stürmte ins Atrium. Er drückte etwas an die Brust.
Als er sich hinter die Tische warf, sah Peter, was es war. Ein schwarzer Schuhkarton.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Alicia. »Du warst abstauben?«
    Caleb nahm den Deckel ab und warf ihn beiseite.
Ein Paar leuchtend gelbe Turnschuhe, noch in Seidenpapier gewickelt. Er
streifte Zanders Stiefel ab und schob die Füße in die neuen Schuhe.
    »Scheiße.«

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