Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
Küche in der Zuflucht,
und es schneite: ein sanftes Schneetreiben, das nicht vom Himmel kam, weil es
keinen Himmel gab, sondern scheinbar aus der Luft vor ihrem Gesicht. Seltsam,
dieser Schnee - es schneite fast nie, und schon gar nicht im Haus, soweit Sara
sich erinnern konnte. Doch sie hatte andere Sorgen. Heute war der Tag ihrer
Entlassung, und bald würde die Lehrerin sie holen, aber ohne die Maisfladen
hätte sie in der Welt da draußen nichts zu essen. In der Welt da draußen, hatte
die Lehrerin ihr erklärt, aßen die Leute nichts anderes.
    Dann war da ein Mann. Gabe Curtis. Er saß am
Küchentisch vor einem leeren Teller. »Sind sie fertig?«, fragte er Sara, und
dann wandte er sich an das Mädchen, das neben ihm saß, und sagte: »Ich habe
Maisfladen immer gern gemocht.« Sara fragte sich mit leiser Besorgnis, wer
dieses Mädchen sein mochte. Sie versuchte sie anzusehen, doch es ging nicht:
Wenn sie hinschaute, war das Mädchen dort nicht mehr. Und ganz langsam dämmerte
Sara, dass sie jetzt woanders war. Sie war in dem Zimmer, in das die Lehrerin
sie geführt hatte und in dem sie es erfahren würde, und ihre Eltern waren da
und warteten. Sie standen in der Tür. »Geh mit ihnen, Sara«, sagte Gabe. »Es
wird Zeit, dass du gehst. Lauf, lauf immer weiter.«
    »Aber du bist tot«, sagte Sara, und als sie ihre
Eltern anschaute, sah sie dort, wo ihre Gesichter hätten sein müssen, nur konturlose
Flecken, als blicke sie durch fließendes Wasser, und irgendetwas stimmte mit
ihren Hälsen nicht. Jetzt hörte sie von draußen ein dumpfes Hämmern, und eine
Stimme rief ihren Namen. »Ihr seid alle tot.«
    Dann war sie wach. Sie war auf dem Stuhl neben
dem kalten Herd eingeschlafen. Ein Klopfen an der Tür hatte sie geweckt, und
jemand rief ihren Namen. Wo war Michael? Wie spät war es?
    »Sara! Mach auf!«
    Caleb Jones? Sie riss die Tür auf, als er gerade
wieder dagegenhämmern wollte. Seine erhobene Faust stoppte mitten im Schlag.
    »Wir brauchen eine Krankenschwester.« Er war
außer Atem, und sein Gesicht war schweißüberströmt. »Jemand ist verwundet.«
    Sofort war sie hellwach und griff nach ihrer
Tasche auf dem Tisch. »Wer?«
    »Lish hat sie hereingebracht.«
    »Lish? Lish ist verwundet?«
    Caleb schüttelte den Kopf. Er rang immer noch
nach Luft. »Nicht sie. Das Mädchen.«
    »Welches Mädchen?«
    Sein Blick war erstaunt. »Sie ist ein Walker,
Sara.«
    Als sie am Krankenrevier ankamen, zog das erste
fahle Licht über den Himmel. Niemand war da, und das wunderte sie. Nach Calebs
Bericht hatte sie eine Menschenmenge erwartet. Sie stieg die Treppe hinauf und
eilte hinein.
    Auf der vordersten Pritsche lag ein Mädchen. Der
Bolzen steckte noch in ihrer Schulter. Etwas Dunkles hing an ihrem Rücken.
Alicia stand vor ihr; ihr T-Shirt war blutbespritzt.
    »Sara, tu etwas«, sagte sie.
    Sara trat rasch heran und schob die Hand um den
Hals des Mädchens, um die Atemwege zu kontrollieren. Das Mädchen hatte die Augen
geschlossen. Sie atmete schnell und flach, und ihre Haut war kühl und feucht.
Sara tastete nach der Halsschlagader. Der Puls raste wie bei einem kleinen
Vogel.
    »Sie hat einen Schock. Hilf mir, sie
umzudrehen.«
    Der Bolzen war dicht unter dem löffeiförmigen
Schlüsselbein eingedrungen. Alicia fasste das Mädchen vorsichtig bei den
Schultern, Caleb packte sie bei den Füßen, und zusammen drehten sie sie auf
die Seite. Sara holte eine Schere und setzte sich hinter sie, um den blutgetränkten
Rucksack abzuschneiden. Dann kam das dünne T-Shirt an die Reihe; sie schnitt
den Halsausschnitt auf und riss es dann auseinander. Die schlanke Gestalt eines
heranwachsenden Kindes kam zum Vorschein - knospende kleine Brüste und eine
helle Haut. Die Widerhakenspitze des Bolzens ragte aus einer sternförmigen
Wunde oberhalb des Schulterblatts.
    »Die muss ich abschneiden. Dazu brauche ich
etwas Größeres als diese Schere.«
    Caleb nickte und ging das entsprechende Gerät
holen. Als er durch den Vorhang verschwand, kam Soo Ramirez hereingestürzt. Ihr
langes Haar hatte sich gelöst, und ihr Gesicht war schmutzig. Am Fuße des
Bettes blieb sie stehen.
    »Mich trifft der Schlag. Das ist ja noch ein
Kind.«
    »Wo zum Teufel ist die Andere Sandy?«, wollte
Sara wissen.
    Soo machte ein verdattertes Gesicht. »Wo um
alles in der Welt kommt sie her?«
    »Soo, ich bin hier ganz allein. Wo ist Sandy?«
    Soo hob den Kopf und sah sie an. »Sie ist ... in
der Zuflucht, glaube ich.«
    Draußen kam Tumult auf. Schritte,

Weitere Kostenlose Bücher