Cronin, Justin
Nächste, woran er sich erinnern
konnte, war Mausamis Gesicht im Dunkeln über ihm. Sie hatte seinen Namen
gerufen. Für ihn hatte es nur eine logische Schlussfolgerung gegeben: Sie hatte
geschossen. Sie hatte die Waffe irgendwie an sich gebracht und den Schuss
abgefeuert, der sie alle gerettet hatte.
Damit blieb als einzige mögliche Erklärung ein
unbekannter Dritter.
Derjenige, der die Fußspuren hinterlassen hatte,
die Theo in der Scheune entdeckt hatte. Aber wie eine solche Person genau im
richtigen Moment auftauchen und dann unerkannt wieder verschwinden konnte - und
vor allem, warum er oder sie das hätte tun
sollen -, konnten sie sich nicht erklären. Sie hatten auch keine weiteren
Fußspuren gefunden, keine zusätzlichen Indizien dafür, dass noch jemand da
gewesen war. Es war, als habe ein Gespenst sie gerettet.
Die nächste Frage war, warum der Viral sie nicht
einfach umgebracht hatte, als er Gelegenheit dazu hatte. Weder Theo noch
Mausami waren nach dem Überfall noch einmal in der Scheune gewesen, und der
Kadaver lag immer noch dort, vor der Sonne geschützt. Aber als Alicia und
Peter hinübergingen, um nachzusehen, war dieses Rätsel gelöst. Keiner von ihnen
hatte jemals die Leiche eines Virais gesehen, der mehr als ein paar Stunden tot
war. Die Tage in der dunklen Scheune hatten eine ganz unerwartete Wirkung
gehabt. Die Haut hatte sich straffer um das Gesicht gespannt und ihm einen
erkennbaren Anschein von Menschlichkeit zurückgegeben. Die Augen des Virais
waren offen und milchig verschleiert wie Murmeln. Die eine Hand lag auf der
Brust, die Finger über dem Einschusskrater gespreizt - eine Geste der
Überraschung, vielleicht sogar des Schreckens. Peter verspürte bei dem Anblick
ein plötzliches Gefühl der Vertrautheit, als sehe er einen sehr entfernten
Bekannten oder jemanden, der unter einer spiegelndenden Glasscheibe lag. Aber
dann sprach Alicia den Namen aus, den er kannte, und im selben Moment war alle
Ungewissheit verflogen. Die Wölbung der Stirn, der Ausdruck der Verwirrung im
Gesicht, verstärkt durch die kalte Leere seines Blicks, die suchende Geste der
Hand auf der Wunde, als habe er im letzten Augenblick noch versucht, zu
ergründen, was ihm da passierte. Es gab keinen Zweifel: Der Mann auf dem Boden
der Scheune war Galen Strauss.
Wie war er hierhergekommen? Hatte er sie gesucht
und war unterwegs befallen worden, oder war es umgekehrt gewesen? Hatte er Mausami
oder das Baby gewollt? Hatte er sich rächen wollen? Oder sich verabschieden?
Wo war Galen Strauss zu Hause?
Alicia und Peter rollten die Leiche in eine
Plane und schleiften sie weg vom Haus. Sie wollten sie verbrennen, doch Mausami
erhob Einspruch. Er mag ein Viral gewesen sein, sagte sie, aber er war einmal
mein Mann. So eine Behandlung hat er nicht verdient. Er soll bei den andern
begraben werden. Wenigstens das wollen wir ihm geben. Und so taten sie es.
Am späten Nachmittag des zweiten Tages auf der
Farm legten sie Galen zur letzten Ruhe. Alle hatten sich im Garten versammelt,
nur Theo nicht; er war ans Bett gefesselt und würde es noch viele Tage bleiben.
Sara schlug vor, jeder solle eine Geschichte erzählen, an die er sich erinnerte,
etwas, das er mit Galen erlebt hatte. Das war anfangs mühsam, denn abgesehen
von Maus hatte keiner von ihnen ihn gut gekannt oder gar besonders gemocht.
Aber am Ende schafften sie es alle, und jeder erzählte von irgendeinem
Ereignis, bei dem Galen etwas getan oder gesagt hatte, das komisch oder loyal
oder gutmütig gewesen war, und Greer und Amy schauten als stumme Zeugen dieses
Rituals zu. Als sie fertig waren, erkannte Peter, dass etwas Bedeutsames
geschehen war: Es war ein Eingeständnis gewesen, das nicht mehr zurückgenommen
werden konnte, nachdem es einmal in der Welt war. Der Kadaver, den sie begraben
hatten, mochte ein Viral gewesen sein, aber die Person, die sie bestattet
hatten, war ein Mensch.
Die Letzte, die sprach, war Mausami. Sie hielt
Baby Caleb auf dem Arm. Das Kind schlief. Sie räusperte sich, und Peter sah,
dass ihre Augen feucht von Tränen waren.
»Ich will nur sagen, er war sehr viel tapferer,
als die Leute dachten. Die Wahrheit ist, er konnte kaum etwas sehen. Niemand
sollte wissen, wie schlimm es war, aber ich habe es gemerkt. Er war nur zu
stolz, um es zuzugeben. Es tut mir leid, dass ich ihn betrogen habe. Ich weiß,
er wollte gern Vater sein, und vielleicht ist er deshalb hergekommen.
Vermutlich ist es merkwürdig, wenn ich das sage, aber ich glaube, er
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