Cronin, Justin
beschmiert waren mit Blut und
anderem Zeug, über das sie gar nichts wissen wollte, zu dem stinkenden Container
hinter dem Motel und stopfte sie hinein.
Es war, als sei die Zeit irgendwie komprimiert,
zusammengedrückt wie ein Akkordeon. All die Jahre, die sie gelebt hatte, und
alles, was ihr passiert war, quetschte das Gewicht dieses einen Augenblicks
zusammen. Sie erinnerte sich, wie sie Amy, als sie noch ein Baby war,
frühmorgens am Fenster im Arm gehalten und gewiegt hatte, und wie sie dabei oft
selbst eingeschlafen war. Das waren schöne Momente gewesen, und sie würde sich
immer daran erinnern. Sie packte ein paar Sachen in Amys Kinderrucksack und
Kleidung und Geld für sich selbst in eine Einkaufstüte. Dann schaltete sie den
Fernseher ab und rüttelte Amy sanft wach.
»Komm, Süße. Aufwachen. Wir müssen los.«
Die Kleine schlief noch halb, aber sie ließ sich
von Jeanette anziehen. Sie war morgens immer so, benommen und ein bisschen
verwirrt, und Jeanette war froh, dass es noch so früh war; zu jeder anderen
Tageszeit wäre viel mehr Erklärung und Überredung nötig gewesen. Sie gab dem Mädchen
einen Müsliriegel und eine Dose lauwarme Traubenlimo, und dann gingen sie
zusammen hinaus an den Highway, wo Jeanette aus dem Bus gestiegen war.
Sie erinnerte sich an die große steinerne
Kirche, die sie auf der Rückfahrt zum Motel gesehen hatte. »Unsere
Schmerzensreiche Mutter« hatte auf dem Schild davor gestanden. Wenn sie mit
den Bussen nichts falsch machte, würden sie wieder dort vorbeifahren.
Sie saß mit Amy in der letzten Reihe und hatte
ihr den Arm um die Schultern gelegt. Das kleine Mädchen schwieg; nur einmal
sagte sie etwas, als sie wieder Hunger bekam, und Jeanette gab ihr noch einen
Müsliriegel aus der Schachtel, die sie zusammen mit den sauberen Sachen und
der Zahnbürste und dem Stoffhasen in ihren Rucksack getan hatte. Amy, dachte
sie, du bist mein liebes Kind, mein liebes Kind, es tut mir leid, es tut mir so
leid. In der Stadtmitte stiegen sie wieder um und fuhren noch einmal eine halbe
Stunde lang, und als Jeanette das Schild zum Zoo sah, befürchtete sie, dass sie
zu weit gefahren war, aber dann fiel ihr ein, dass die Kirche vor dem Zoo
gekommen war, und deshalb würde sie jetzt danach kommen, weil sie in die andere
Richtung fuhr.
Plötzlich sah sie sie. Bei Tag sah sie anders
aus, nicht so groß, aber das machte nichts. Sie stiegen durch die hintere Tür
aus, und Jeanette zog den Reißverschluss an Amys Jacke hoch und hängte ihr den
Rucksack um, während der Bus weiterfuhr.
Dann schaute sie auf und sah das andere Schild,
an das sie sich aus der vergangenen Nacht erinnerte. Es war an einem Pfosten
befestigt, an der Ecke einer Einfahrt, die neben der Kirche entlangführte: Konvent
der Barmherzigen Schwestern.
Sie nahm Amy bei der Hand und ging die Einfahrt
hinunter. Sie war von hohen Bäumen gesäumt, einer Art Eichen, die ihre langen,
bemoosten Arme über sie breiteten wie ein Zelt. Sie wusste nicht, wie ein Konvent
aussah. Wie sich herausstellte, war es nur ein Haus, aber ein hübsches Haus -
aus einem Stein, der ein bisschen glitzerte, und mit einem Schindeldach und
weiß umrandeten Fenstern. Davor lag ein Kräutergarten, und sie nahm an, dass
die Nonnen sich mit so etwas beschäftigten: dass sie hier herauskamen und sich
um winzige Pflänzlein kümmerten. Sie ging zur Haustür und läutete.
Die Frau, die ihr öffnete, war nicht alt, wie
Jeanette es erwartet hatte, und sie trug auch keine Robe, oder wie diese
Gewänder sonst hießen. Sie war jung, nicht viel älter als Jeanette, und abgesehen
von einer Haube war sie ganz normal gekleidet: Rock, Bluse und braune flache
Halbschuhe. Und sie war schwarz. In Iowa hatte Jeanette in ihrem ganzen Leben
höchstens ein oder zwei Schwarze gesehen - außer im Fernsehen oder im Kino.
Aber in Memphis wimmelte es von ihnen. Sie wusste, dass manche Leute Probleme
damit hatten, aber ihr selbst hatte es bisher nichts ausgemacht. Eine schwarze
Nonne war sicher völlig okay.
»Entschuldigen Sie, dass ich störe«, fing
Jeanette an. »Mein Auto ist kaputt gegangen, und ich dachte ...«
»Natürlich«, sagte die Frau. Ihre Stimme klang
merkwürdig, anders als alle, die Jeanette je gehört hatte - als stecke Musik in
jedem Wort und schwinge darin. »Kommen Sie herein, alle beide.«
Die Frau trat in der Tür zurück und ließ
Jeanette und Amy in den Hausflur. Irgendwo in diesem Gebäude waren noch andere
- vielleicht auch schwarze - Nonnen, das
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