Cruel World
Ich habe das Gefühl, dass wir ziemlich viel gemeinsam haben.
Wie bitte?
Na ja, du bist genauso alleine wie ich und du würdest ebenso liebend gerne in einer anderen Haut stecken, um all diese schrecklichen Erinnerungen und Gefühle zu vergessen.
Ja, du könntest recht haben. Ich bin stolz auf dich. Als wäre ich ein Kind, das es geschafft hatte, sein Zimmer aufzuräumen, durchwühlte er mir mit einer Hand mal wieder die Haare.
He, hör auf. Ich verzog das Gesicht. Sie sehen bestimmt schlimm genug aus. Könntest du mir helfen, mich anzuziehen? Es wird langsam kalt.
Er nickte sofort und holte meine Klamotten. Natürlich. Was möchtest du zuerst anziehen?
Die Hose. sagte ich schnell und spürte, wie meine Wangen heiß wurden, als er meine Beine in den Stoff hineinsteckte und dann meine Hüfte mit beiden Händen ein wenig hob, um sie mir bis über den Hintern zu ziehen und den Hosenknopf zuzumachen. Seine Berührungen bereiteten mir Gänsehaut, was ich nicht verstehen konnte. Warum raste mein Herz so laut? Konnte er es hören? War er deshalb so still?
Es lag eine gewisse Spannung in der Luft.
Mir fiel auf, dass er die Luft angehalten hatte, denn nachdem er den Pullover vorsichtig über meinen Kopf gezogen und meine Arme in die Ärmel gesteckt hatte, obwohl es ein paar Probleme mit meiner gebrochenen Hand gab, musste er sich zwischen meinen Beinen platzieren, um den Pullover, ohne das Verband zu berühren, bis nach unten ziehen zu können. Auch wagte es nun nicht mehr zu atmen, weil ich ansonsten womöglich keuchen würde. Seine Wärme und seine Nähe fühlten sich auf eine Weise völlig natürlich an, doch mein Verstand schrie, dass ich auf mich aufpassen muss, weil durch das Verband immer noch mein Blut zu sehen war. Alex' Gesicht war nur dreißig Zentimeter davon entfernt. Ich bemerkte auch, dass sein ganzer Körper angespannt war. Kam das wegen dem Blut oder durch meine bloße Nähe? Erschrocken über diesen Gedanken hätte ich beinahe nach Luft geschnappt, doch in der letzten Sekunde konnte ich noch die Lippen fest aufeinanderpressen. Warum dachte ich so etwas Unsinniges? Er war ein Vampir. Einer der Monster, die meine Eltern getötet hatten. Ich durfte ihn nicht im Geringsten mögen und doch tat ich es aus irgendeinem Grund, den ich mir nicht erklären konnte. Dabei kannten wir uns doch erst seit einem Tag! Wie also war das bloß möglich?
Langsam hob Alex seinen Blick und ertappte mich dabei, wie ich ihn mit schräg gesenktem Kopf anstarrte.
Du machst mich wirklich noch verlegen, Chalina-Anastasia.
Mit geweiteten Augen sah ich auf meine Hände. Ähm, ich... ich bin dir bloß so unbeschreiblich dankbar.
Er lachte in sich hinein. Ach, keine Ursache. Das mache ich doch gern. Wenn du wieder laufen kannst, können wir dich baden. Deine Haut ist ohne diesen ganzen Dreck bestimmt viel reiner, nicht wahr?
Vielleicht. Wieder wurde ich rot. Ich würde dann aber gerne alleine baden.
Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon nicht hinsehen., versuchte er mir zu versichern, doch das reichte nicht.
Mir wäre es aber lieber, wenn du weggehst.
Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Vertraust du mir etwa immer noch nicht? Ich habe versprochen, dir nichts anzutun. Du solltest deine Abneigung gegen die Guten von uns wirklich ablegen. Ich halte mich an das, was ich sage. Wirklich.
Alex, bitte!, flehte ich ihn an, Du hast mich bereits halbnackt gesehen! Reicht dir das nicht? Mir ist so etwas furchtbar peinlich! Du solltest wirklich lernen, was die Scham einer Frau gegenüber eines Mannes zu bedeuten hat. Wenn ich sage, dass du nicht dabei sein sollst, dann musst du das akzeptieren. Es ist mein Körper und über den habe ich allein zu bestimmen.
Er hob grinsend eine Augenbraue. Wow. Du solltest öfter solche Reden halten. Das gefällt mir.
Alex! Fassungslos starrte ich ihn an. Ich versuchte ihm etwas zu erklären und er machte sich einfach lustig darüber. Mir war wirklich noch nie eine solch respektlose Person unter die Nase bekommen.
Beruhigend hob er beide Hände in die Luft. Entschuldige, bitte. Es war nicht meine Absicht gewesen, dich verärgern zu wollen. Wenn du willst, dass ich, während du badest, nicht in der Nähe sein soll, dann werde ich mich daran halten. Du müssest mir bloß eine Zeit sagen, wann ich wiederkommen soll.
Das werde ich.
Ich war nun schon seit über fünf Wochen in dieser Höhle mit Alex und konnte noch immer nicht richtig laufen. Kaum stellte ich mich auf die Füße,
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