Cruel World

Andere Menschen waren für mich bloß Nahrung, nichts weiter wert. Doch an Olivias achtzehntem Geburtstag... Seine Stimme brach ab und ich konnte sogar erkennen, wie eine Träne an seiner Wange hinunterlief. Mich überkam der Drang, ihn in meine Arme nehmen und trösten zu wollen. Solch jemand wie er sollte nicht unglücklich sein.
    Rede weiter. flehte ich ihn an und ergriff ohne nachzudenken seine Hand, sodass sein verwunderter Blick sofort darauffiel.
    Ähm... ich wollte zu ihr gehen. Als ich jedoch ihre Zimmertür geöffnet habe, traf mich fast der Schlag. An diesen Augenblick erinnere ich mich noch ganz genau. Überall war ihr köstlich duftendes Blut verschmiert. Sowohl auf den Möbeln, als auch an den Wänden. Und dann sah ich meine Eltern in dem Zimmer stehen. Sie blickten mich völlig ratlos an. Ich fragte die beiden voller Panik, was passiert ist und wo Olivia sei, doch sie schweigten bloß und verließen das Zimmer. Erst eine Woche später habe ich von unserer treuen Haushälterin erfahren, dass sie Olivia weglaufen hat sehen, sie aber nicht aufhalten konnte.
    Ich schnappte nach Luft. Das ist ja furchtbar!
    Alex nickte gedankenverloren. Meine Eltern und ich suchten sie viele Jahrhunderte lang, doch eines Tages verschwanden alle Spuren von ihr, sodass wir aufhören mussten.
    Hmm. Darf ich fragen, wo deine Eltern heutzutage leben?
    Sein gesamter Körper versteifte sich und er ballte sogar die Hände zu Fäusten. Sie... leben eigentlich immer noch in unserem alten Anwesen, doch vor ein paar Jahren haben sie die Heimat verlassen, um hierherzukommen. Seitdem hat sich mein ganzes Leben verändert.
    Ja, Eltern sind schon wichtig., meinte ich und presste die Lippen zusammen, doch er stieß plötzlich wieder einen verachtenden Laut aus. Glaube mir, solche Eltern wie die meine hätte sich niemals jemand gewünscht. Ich wäre viel besser ohne sie dran gewesen!
    Wie meinst du das?
    Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man die Personen, die einen gezeugt, geboren und großgezogen hatten, so sehr hassen konnte. Selbst wenn meine eigenen Eltern schreckliche Dinge getan hätten, so hätte ich sie trotzdem weiterhin geliebt. War es möglich, dass die Liebe zur Familie tatsächlich durch bestimmte Ereignisse verschwinden kann? Wie fühlte sich so etwas an? War es angenehm oder musste man dafür stark leiden? Konnten sich solche Gefühle urplötzlich in Luft auflösen? Ich hatte mir schon oft gewünscht, diese seelischen Schmerzen irgendwie loszuwerden, aber ein kleiner Teil in mir wollte einfach nicht mit der Vergangenheit abschließen. Ich wollte Rache. Ich verspürte eine unglaublich starke Wut in mir, die ich zur Zeit gekonnt zurückhielt. Irgendwann jedoch würde es vielleicht soweit sein, dass der Kessel überlief und ich nicht mehr aufhören konnte zu töten. Mein Herz schrie. Es verlangte nach einer Schulter, bei der ich mich nur ein einziges mal ausweinen kann. Dies war mein tiefster und größter Wunsch.
    Sie haben mich in den letzten paar Monaten zu Dingen gezwungen, die ich normalerweise nie getan hätte! Am liebsten würde ich die beiden... Er ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass die Sehnen und Adern hervortraten.
    Ich verstehe. Sag mal, wirst du mich, wenn ich wieder gesund bin, zurück nach Sydney bringen?
    Nachdem er einmal die Nase gerümpft hatte, schaute er mich mit gehobener Augenbraue an. Was willst du denn noch dort? Dein Clan wird sicher auch ohne dich auskommen. Außerdem ist es in der Stadt mehr als nur gefährlich. Weißt du etwa nicht, dass sich dort Aaran Grant eingenistet hat? Seine Gefolgsleute sind überall!
    Ich muss aber wissen, ob es Noah gut geht., sagte ich verzweifelt.
    Wer ist das? Dein Freund? Hast du ihn gern? Wie sieht er aus? Alex bombadierte mich praktisch mit diesen Fragen, sodass ich erst einmal überlegen musste, welche ich zuerst beanworten soll.
    Ähm... ich habe Noah natürlich sehr gern. Er ist einer meiner wenigen Freunde, mehr nicht. Ich habe seit... fünf Monaten keine Liebe mehr geschenkt bekommen, deshalb glaube ich vergessen zu haben, wie sich das anfühlt. Außerdem-
    Das ist ein Scherz, oder?, fragte er mich empört, Du hast vergessen, wie sich Liebe anfühlt? Wie geht denn so etwas?
    Stecke du mal in meiner Haut, danach können wir weiter darüber diskutieren., stichtelte ich ihn an, woraufhin sein Gesichtsausdruck nachdenklich wurde. Du hast keine Ahnung, was ich alles dafür geben würde.
    Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Weißt du was?