Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
geschwollenes Gesicht.
»Alles klar?«
»Ich glaube, meine Mutter hat Marian getötet, und ich glaube, sie hat auch Ann und Natalie getötet. Und ich weiß, dass du das ebenfalls glaubst. Ich komme gerade aus Woodberry, du Arschloch.«
Irgendwo auf dem Weg von Woodberry hierher war mein Kummer blinder Wut gewichen. »Ich kann es nicht fassen, dass du nur mit mir rumgemacht hast, um Informationen über meine Mutter zu bekommen. Wie krank bist du Wichser eigentlich?« Ich zitterte, die Worte kamen holpernd aus meinem Mund, ritten auf den Wogen meiner Tränen.
Richard nahm einen Zehner aus der Brieftasche, schob ihn unter den Teller, trat neben mich und nahm meinen Arm.
»Lass uns rausgehen, Camille. Das hier ist nicht der richtige Ort dafür.« Er führte mich durch die Tür und half mir auf den Beifahrersitz seines Wagens.
Er fuhr schweigend zu den Klippen hinauf und hob die Hand, sowie ich den Mund aufmachen wollte. Schließlich wandte ich mich ab, lehnte mich ans Fenster und sah den Wald als blaugrünen Wirbel vorüberziehen.
Wir parkten an der Stelle mit Blick auf den Fluss, an der wir schon einmal gewesen waren. Der aufgewühlte Mississippi floss unter uns dahin, das Mondlicht spiegelte sich fleckig in der Strömung. Wie ein Käfer, der durch welkes Laub huscht.
»Jetzt bin ich mit den Klischees an der Reihe«, sagte Richard und schaute dabei geradeaus. »Ja, zuerst habe ich mich wegen deiner Mutter für dich interessiert. Dann verliebte ich mich in dich, was bei einem so verschlossenen Menschen wie dir nicht einfach ist. Aber natürlich verstehe ich, warum du so bist. Zuerst wollte ich dich offiziell befragen, wusste aber nicht, wie nahe ihr euch steht. Du solltest deine Mutter ja nicht vorwarnen. Und ich war mir meiner Sache auch nicht sicher, wollte Adora noch eingehender studieren. Es war mehr eine Ahnung als eine Gewissheit. Hier und da ein bisschen Klatsch, über dich, über Marian, über Amma und deine Mutter. Serienmorde an Kindern – eigentlich passte das Täterprofil nicht auf eine Frau. Dann fing ich an, es aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.«
»Aus welchem?« Meine Stimme klang stumpf wie Altmetall.
»Ich landete immer wieder bei dem Jungen, James Capisi. Bei der bösen Hexe aus dem Märchen.« Die Brüder Grimm ließen grüßen. »Ich glaube immer noch nicht, dass er deine Mutter tatsächlich gesehen hat, aber er erinnerte sich vage an etwas, ein unbestimmtes Gefühl oder eine unbewusste Angst, die sich dann in der Person deiner Mutter kristallisierte. Also fragte ich mich, welche Frau würde kleine Mädchen töten und ihre Zähne stehlen. Eine Frau, die nach absoluter Kontrolle strebt. Eine Frau, deren mütterliche Instinkte fehlgesteuert sind. Sowohl Ann als auch Natalie waren … kosmetisch behandelt worden, bevor man sie tötete. Beide Elternpaare bemerkten untypische Details. Natalie hatte man die Fingernägel lackiert, Ann die Beine rasiert. Beide trugen Lippenstift.«
»Und die Zähne?«
»Ist das Lächeln nicht die beste Waffe eines Mädchens?«, fragte Richard und drehte sich endlich zu mir. »Und bei diesen Mädchen ist das sogar wörtlich zu nehmen. Dein Bericht über das Beißen hat mir das letzte Puzzleteil geliefert. Der Mörder muss eine Frau sein, die starke Frauen ablehnt und als ordinär betrachtet. Sie wollte die Mädchen bemuttern, beherrschen, nach ihrem Bild formen. Als sie sich dagegen wehrten, war ihr Zorn ungeheuerlich. Die Mädchen mussten sterben. Erdrosseln ist die reinste Verkörperung des Beherrschens. Mord in Zeitlupe. Nachdem ich das Profil erstellt hatte, setzte ich mich hin und schloss die Augen. Und sah das Gesicht deiner Mutter. Sie stand den toten Mädchen nahe – und hat für beide Morde kein Alibi. Hinzu kommen Beverly Van Lumms Vermutungen über Marians Tod. Doch müssen wir zunächst eine Exhumierung vornehmen, um Genaueres zu finden, Spuren von Gift oder anderen Substanzen.«
»Lasst sie in Ruhe.«
»Das geht nicht, Camille. Du weißt, dass es richtig ist. Wir werden sehr respektvoll mit ihr umgehen.« Er legte die Hand auf mein Bein. Nicht auf meine Hand oder Schulter, sondern auf mein Bein.
»Habt ihr John je verdächtigt?«
»Sein Name tauchte immer wieder auf. Vickery war wie besessen davon. Dachte, wenn Natalie gewalttätig gewesen sei, könne es auch für John gelten. Außerdem kam er von außerhalb, und du weißt, wie verdächtig solche Leute sind.«
»Richard, hast du irgendeinen handfesten Beweis gegen meine Mutter?
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