Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
mein Herzschlag hämmerte hinter den Augenlidern. Ich übergab mich in den Papierkorb neben dem Bett. Heiße Flüssigkeit, obendrauf schwammen vier Maiskörner.
Meine Mutter war im Zimmer, bevor ich mich wieder hingelegt hatte. Ich stellte mir vor, wie sie im Flur neben Marians Foto gesessen hatte, während sie darauf wartete, dass mir schlecht wurde.
»Komm, Kleines, in die Wanne mit dir«, murmelte sie. Sie streifte mir das T-Shirt über den Kopf und die Schlafanzughose hinunter. Einen scharfen blauen Moment lang spürte ich ihre Augen auf meinem Hals, meinen Brüsten, Hüften, Beinen.
Als ich in die Wanne steigen wollte, musste ich mich wieder übergeben, die heiße Flüssigkeit ergoss sich auf meine Brust und das Porzellan der Wanne. Adora schnappte sich ein Handtuch von der Stange, goss Franzbranntwein darauf und wischte mich routiniert wie ein Fensterputzer ab. Als ich in der Wanne saß, schüttete sie mir glasweise kaltes Wasser über den Kopf, um das Fieber zu senken. Gab mir zwei weitere Pillen und ein Glas Milch, blassgrau wie der Winterhimmel. Ich nahm alles mit dem gleichen bitteren Trotz, der mich bei meinen zweitägigen Saufgelagen antrieb.
Na los, was hast du noch zu bieten?
Es sollte wehtun, das war ich Marian schuldig.
Kotzen, Wasser ablaufen lassen, nachfüllen, ablaufen lassen. Eisbeutel auf den Schultern, zwischen den Beinen. Wärmflasche auf der Stirn, auf den Knien. Pinzette in der Wunde am Knöchel, danach Franzbranntwein. Rosig verfärbtes Wasser.
Verschwinden, verschwinden, verschwinden
flehte mein Nacken.
Adoras Wimpern waren völlig gezupft, das linke Auge tränte, sie benetzte die Oberlippe unablässig mit der Zunge. Noch ein Gedanke, als ich schon das Bewusstsein verlor:
Ich werde umsorgt. Ich werde bemuttert. Wie schmeichelhaft. Niemand sonst würde das für mich tun. Marian. Ich bin eifersüchtig auf Marian.
Als ich aufwachte, trieb ich im lauwarmen Badewasser. Vernahm Schreie. Schwach und dampfend hievte ich mich aus der Wanne, wickelte mich in einen dünnen Bademantel. Die Schreie meiner Mutter gellten mir in den Ohren. Ich wollte gerade die Tür öffnen, als Richard hereinstürzte.
»Alles in Ordnung, Camille?« Das abgehackte, scharfe Geheul meiner Mutter durchschnitt die Luft.
Sein Mund klappte auf. Er drehte meinen Kopf zur Seite, betrachtete die Schnitte am Hals. Zog meinen Bademantel auseinander und zuckte zusammen.
»Großer Gott.« Er stand unter Schock, schwankte zwischen Angst und Gelächter.
»Was ist mit meiner Mutter?«
»Was ist mit dir? Schneidest du dich?«
»Ich schneide Wörter.« Als ob das einen Unterschied machte.
»Das sehe ich selbst.«
»Warum schreit meine Mutter?« Mir wurde schummrig, ich ließ mich fallen, prallte hart auf den Boden.
»Bist du krank, Camille?«
Ich nickte. »Hast du was gefunden?«
Vickery polterte mit mehreren Polizisten an meinem Zimmer vorbei. Dahinter meine Mutter, die sich die Haare raufte, sie schrie, sie sollten doch ein wenig Respekt haben, es werde ihnen noch leid tun.
»Bis jetzt nicht. Wie schlimm ist es?« Er befühlte meine Stirn, band meinen Bademantel zu, schaute mir nicht mehr ins Gesicht.
Ich zuckte die Achseln wie ein schmollendes Kind.
»Alle müssen das Haus verlassen, Camille. Zieh dir was an, ich bringe dich zum Arzt.«
»Sicher, du brauchst ja Beweise. Hoffentlich habe ich noch genügend Gift in mir.«
Bis zum Abend wurden die folgenden Gegenstände in der Wäscheschublade meiner Mutter sichergestellt:
Acht Glasfläschchen mit Malariatabletten aus Übersee, große blaue Tabletten, die aus dem Handel genommen worden waren, weil als Nebenwirkungen Fieber und Sehstörungen auftraten. Bei der toxikologischen Untersuchung fanden sich Spuren davon in meinem Körper.
Zweiundsiebzig Tabletten, die hauptsächlich als Abführmittel für Nutztiere verwendet werden. Bei der toxikologischen Untersuchung fanden sich Spuren davon in meinem Körper.
Drei Flaschen des Brechmittels Ipecac, das bei Vergiftungen eingesetzt wird. Bei der toxikologischen Untersuchung fanden sich Spuren davon in meinem Körper.
Einhunderteinundsechzig Beruhigungstabletten für Pferde. Bei der toxikologischen Untersuchung fanden sich Spuren davon in meinem Körper.
Ein Schwesternkoffer mit Dutzenden loser Tabletten, Glasflaschen und Spritzen, die Adora eigentlich nicht gebrauchen konnte. Aber gebraucht hatte.
In der Hutschachtel meiner Mutter entdeckte man ein Tagebuch mit Blümchenmuster, das vor Gericht als Beweis
Weitere Kostenlose Bücher