Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Krankheiten um die Wohnhäuser, weil jeder seinen Unrat vor die Tür des Nachbarn kippt! Sie fürchten alles, was sich nicht ihrer talentlosen städtischen Zauberei unterwirft, sie fürchten uns und jagen den Kindern mit Schauermärchen über uns Angst ein. Sie haben nicht die geringste Vorstellung, wie viel Kraft es uns kostet, das Gleichgewicht der Erde zu erhalten. Sie hassen uns, weil wir die Erde zum Wippen bringen – obwohl wir ihnen damit das Leben retten! Sieh dir doch nur einmal an, was dieser Eiferer der Kirche um den Hals trägt!«
Er knöpfte dem schlafenden Karim das Hemd auf und zog mit angewidertem Gesichtsausdruck ein ganzes Bündel von Amuletten und Talismanen hervor.
Es war ein buntes Sammelsurium: An etlichen Schnüren hingen christliche Kreuze unterschiedlicher Konfessionen, der Halbmond des Propheten und der Davidstern, aber auch kleine Fässchen mit Haarbüscheln, ein gelb gewordener Tigerzahn und sogar ein Mini-Elefant aus Knochen mit vergoldeten Stoßzähnen.
»Diesen Schmeißfliegen ist es völlig einerlei, wem sie die Füße lecken. Sie würden sich vor jedem Zeichen verneigen, das ihr Herr trägt. Wenn der Pap gern reitet, lieben auch sie diesen Spaß, nur um an der Macht zu bleiben! Sie reißen sich den dicken Hintern auf, verrenken sich und geben dabei noch vor, es gefalle ihnen, sich im Dreck zu suhlen. Wird der bisherige Herr ermordet und tritt ein neuer an seine Stelle, ein Verehrer von Stichwaffen beispielsweise, lernen sie den Umgang mit dem Säbel, nur um bei den neuen Machthabern nicht in Ungnade zu fallen. Ihren alten Herrn und Gebieter vergessen sie im Nu, die Symbole seiner Macht verstecken sie sicher … Und da erdreistest du dich, mir den Staat in schillernden Farben auszumalen …?! Mein Großvater war einer der ersten Hüter des Gleichgewichts. Drei Tage lag er neben dem Grün auf der Brandstätte, um es mit seiner Körperwärme zu schützen, es gegen den Wind zu feien und um Insekten fernzuhalten. Als es regnete, hat er in seiner Kleidung Wasser für die Pflanze gesammelt. Dort haben ihn unsere Leute entdeckt. Damals vermochten noch nicht alle, solche Taten zu vollbringen, denn der Himmel war von den strengen Gerüchen des Todes geschwängert. Schließlich hatte die Erde noch nicht all die Knochen der Millionen von Toten aufgenommen, die Körper der Menschen verbrannten nach wie vor in Feuern, und dieser Geruch störte die Hüter …«
Er hielt kurz inne.
»Meine Urgroßmutter, die Mutter meines Großvaters«, fuhr er dann fort, »hat ihn im ersten Walddorf zur Welt gebracht, unmittelbar neben der Brandstätte. Sie selbst stammte aus der Stadt, aus Perm. Als sie ihren Sohn mit dorthin nehmen wollte, bekam er in der Stadt keine Luft mehr. Und auch die anderen Kinder nicht. Wir begriffen, dass die Kinder der Ewigen Brandstätte nie mehr würden in die Stadt zurückkehren können … Als unsere Leute dann Jahre später sahen, wie mein Großvater auf dem grauen Staub schlief und den grünen Spross schützte, da wussten sie, was sie tun mussten: Sie lösten ihn ab, sorgten für das Grün, bewachten es Tag und Nacht und wichen selbst im strengsten Winter nicht von seiner Seite. Sie behüteten diesen Trieb so lange, bis weiteres Gras spross und das Dunkle Mal seine Kraft verlor. Mein Großvater war also rein zufällig auf dieses Geheimnis gestoßen, denn Dunkle Male von solcher Stärke traten nur alle zwanzig Jahre einmal auf und meist in Gegenden, in denen es kein Leben mehr gibt. Doch das Leben verlangt danach, auch an diese Orte zurückzukehren. Dabei muss man es unterstützen, denn andernfalls birst die Erde und …«
»Was genau heißt das?«, fragte Kowal dazwischen. Er wusste mittlerweile nicht mehr, was er überhaupt noch glauben sollte. In den drei Jahren bei den Wippern hatte er sich davon überzeugen können, dass es Zauberei im Sinne von schwarzer Magie oder sprechenden Kesseln nicht gab – doch jetzt schien all das nicht mehr zu gelten.
»Oh, es heißt nicht, dass die Erde stirbt«, antwortete Ismail mit trauriger Stimme, während seine Augen Artur wie eisige abgrundtiefe Strudel in sich einzusaugen schienen. »Nein, sie wird uns alle schlicht und ergreifend abschütteln, ohne Rücksicht darauf, dass Generationen von Hütern ihr Leben in den Dienst der Rettung der Erde gestellt haben … Hast du schon einmal von den Hütern des Gedächtnisses gehört?«
»Mam Rita, mögen ihre Tage voller Frieden sein, hat sie einmal erwähnt. Aber sie sagte, sie würden
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