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Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Titel: Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vitali Sertakov
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Aber wäre das gerecht? Also, wenn ihr mich fragt, wäre das pure Anarchie!«
    Artur atmete tief durch und fuhr dann fort: »Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: Im achtzehnten Jahrhundert, da lebte ein kluger Mann, der euch das alles viel besser hätte erklären können als ich … Aber ich will es trotzdem versuchen: Stellen wir uns also einmal eine kleine Wechselstube vor. Aus ihr entsteht irgendwann die erste Moskauer Bank. Der reiche Geldwechsler leiht jemandem Geld, natürlich mit Prozenten. Ihr versteht nicht, was Prozente sind? Das heißt, er verlangt mehr zurück, als er gegeben hat. Und wer leiht sich Geld bei ihm? Na, sagen wir, ein armer Händler aus Brjansk. Er muss mit einer Karawane durch die Gegend ziehen, kaufen und verkaufen, daheim seine Familie zurücklassen … gut, ihr wisst, was ich meine. Eines Tages kommt dieser Mann in Schwierigkeiten und kann das Geld nicht zurückzahlen. Werdet ihr, die ihr ständig nach Gerechtigkeit verlangt, da nicht lospoltern, wie man einen armen Händler, der niemandem etwas Böses getan hat, ins Gefängnis stecken, auspeitschen und als Sklave verkaufen kann?! Wenn ja, dann würden euch hunderttausend arme Menschen recht geben, das garantiere ich euch. Mehr noch, die würden den Wechsler nur zu gern lynchen. Auf diese Weise würde am Ende die Gerechtigkeit siegen, wenn nicht tapfere Soldaten den Geldwechsler beschützen und die Menge mit MG s beschießen würden. Sicher, man kann jetzt die Frage stellen, was an diesem Sieg der Gerechtigkeit falsch wäre. Warum soll dieser Halsabschneider, der bereits einen Wagen und einen Haufen Geld besitzt, noch reicher werden?! Nur muss man eben auch bedenken, dass die gleichen verhassten Soldaten den kleinen Dieb vorm Zorn der Menge retten. Und selbst die Händler mit ihren ewigen Tauschgeschäften sind insgeheim froh, dass es endlich eine stabile Währung gibt, für die man alles auf dem Markt kaufen kann. Dass man nicht mehr in dunklen Gassen herumirren muss, um eine Ware aufzutreiben. Außerdem werden sie auf dem Markt beschützt, die umliegenden Straßen sind schon viel sicherer …«
    »Willst du damit andeuten, dass Moskau dir gefällt?«
    »Keineswegs«, antwortete Artur mit einem bitteren Lächeln. »Aber das Leben der Menschen war auch vor dem Großen Tod nicht gerade rosig. Nein, was ich will, ist euch klarmachen, dass, wo Licht ist, immer auch Schatten ist. So heißt es jedenfalls. Gut und Böse sind nicht zwei verschiedene Paar Schuhe. Klar, ich würde dem Cowboy in der Provinz, den Moskau mit seinen Steuern zugrunde richtet, auch gern helfen, zum Beispiel indem wir alle zusammen die Kremlgarnison aus seinem Dorf jagen. Wir könnten auch den Kaufmann zwingen, allen armen Menschen die Schulden bei ihm zu erlassen – aber würden wir damit wirklich etwas erreichen? Das wage ich zu bezweifeln. Obendrein habe ich persönlich nicht die Absicht, zu einem zweiten Jemeljan Pugatschow oder Stenka Rasin zu werden, denn die haben dem Volk mit ihrem eigenwilligen Verständnis von Gerechtigkeit nichts als Leid gebracht. Ihr müsst das endlich einsehen: Wenn wir einem Dutzend armer Menschen helfen, geht das immer auf Kosten der Allgemeinheit. Nach einer solchen Aktion verleiht der Kaufmann sein Geld nicht mehr, der Kurs des Rubels sinkt in den Keller, worunter am Ende alle leiden! Der Cowboy würde nicht mehr für den Unterhalt der Soldaten sorgen – woraufhin seine Nachbarn oder ein paar Wilde ihm früher oder später das Haus abfackeln. Und dann gibt es keine Soldaten zu seinem Schutz mehr … Nein, selbst wenn es heute viel zu meckern gibt – das ist nichts Neues. Aber wenn ihr nicht wollt, dass Banden von Röchlern die Straßen unsicher machen, dann muss ein starker Staat entstehen …«
    Nach diesem Vortrag sagte niemand ein Wort. Karim gab auf seinem Bett aus Tannenzweigen ohnehin seit einiger Zeit kein Lebenszeichen mehr von sich. Die beiden unbekannten Wipper nuckelten an ihren Pfeifen, der süßliche benebelnde Qualm breitete sich in der ganzen Kirche aus. Berder legte Holzscheite rund um das Feuer aus. Der Rauch stieg zu Ritzen im Dach hoch, legte sich vor die Wände, an denen weiter oben noch die schwarz gewordenen Gesichter der rechtgläubigen Heiligen finster und drohend dreinschauten. Hinter der Kirche erstreckte sich der Friedhof, aber die Gräber waren in den letzten hundert Jahren vom Schnee und Regen aufgeweicht worden. Artur sah durch eines der Fenster lediglich ein Stück eines Gitters, ein zerfallenes

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