Culpa Mosel
seine Blütezeit längst hinter sich. Das Graffito neben ihrer Haustür war vor der Reise noch nicht da gewesen.
Die Post aus dem Briefkasten warf sie oben auf die Kommode in der Diele, bevor sie sich ihrer Schuhe entledigte, die Tasche über einen Stuhl warf und den Mantel an die Garderobe hing. Einer der Briefe kam aus Deutschland. Auch der musste bis morgen warten. Eigentlich wollte sie nur noch ins Bett, aber es wäre auch schön, morgen früh nicht gleich mit dem Aufräumen beginnen zu müssen. Sie zog den Rollkoffer ins Bad, warf die schmutzige Wäsche neben die Maschine, packte den Kulturbeutel auf die Ablage neben dem Waschbecken. Dann setzte sie sich aufs Klo und schloss für einen Moment die müden Augen.
Sie zog weiter ins Schlafzimmer, wuchtete den leichter gewordenen Koffer auf das Bett und öffnete die Balkontür. Zurück am Bett klappte sie den Koffer auf und nahm einen Stapel nicht getragener und noch halbwegs ordentlich gefalteter Pullis und Blusen heraus. Sie spürte den kühlen Wind, der den muffigen Geruch aus dem Zimmer vertrieb.
Hinter ihr knackte der Schrank, wie er es nachts manchmal tat. Zuerst hatten sie die Geräusche in Panik versetzt. Aber nicht einmal im miesesten Horrorfilm versteckte sich der böse Mann im Schrank. Sie war knapp eine Woche lang unterwegs gewesen. Der arme Schurke hätte sich längst ein anderes Opfer gesucht. Mit dem Kleiderstapel zwischen den gespreizten Fingern richtete sie sich auf.
Der Schlag auf den Rücken ließ Elke nach vorne bis zum Bett taumeln, wo ihre Schienbeine hart gegen das Fußteil schlugen. Die Brille flog auf die Bettdecke. Sie schwankte unter der Last, hörte ein Keuchen im Nacken, spürte zwei Arme, die sie um die Brust fassten. Sie griff danach, fühlte Fell unter ihren Fingern. Das Brennen in ihrem Nacken ließ sie vor Schmerz aufheulen. Unter der Last auf ihrem Rücken wankte sie rückwärts, schlug den Angreifer gegen den Schrank. Die Arme, die sie umklammerten, zerrten an ihrer Bluse.
Der wieder aufkommende Schmerz in ihrem Nacken ließ sie ihre Ellbogen nach hinten stoßen. Was sie spürte, war eindeutig ein Tier, das sich an ihren Rücken klammerte. Sie sank auf die Knie und fiel nach hinten. Das Tier wand sich unter ihr heraus. Sie sah, wie es zur offenen Balkontür huschte, dort kurz verharrte und dann in die Dunkelheit hinausglitt.
In ihrem Hals pochte es, als sie sich auf Händen und Knien zur Balkontür kämpfte, um sie zuzuschlagen und sich nach dem Gurt zu recken, um die Rollläden hastig herunterzulassen. Sie musste die Polizei rufen. Ein stechender Schmerz im Oberbauch verschlug ihr den Atem. Sie fasste mit der Hand an die nackte Haut unter ihrer offenen Bluse. Der Schmerz konnte unmöglich von dem Kratzer kommen, den sie kaum fühlen konnte. Eine Hitzewallung trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Sie konnte nur noch flach atmen, schnappte panisch nach Luft. Es war ihr nicht einmal mehr möglich, sich auf den Knien zu halten. Sie klammerte sich ans Bett und glitt schließlich zu Boden.
Das Telefon befand sich in der Diele, dort steckte auch das Handy in der Handtasche. Während sie sich auf die Holzdielen übergab, pochte es erneut in ihrem Hals. Dort schienen sich die Adern so erweitert zu haben, dass die Luftröhre verengt war. Sie hörte sich fiepen, fuchtelte mit den Armen, bekam das Betttuch zu fassen, krallte sich daran fest, bis der Krampf sich löste.
Den Rauch der frisch angezündeten Zigarre auf dem Balkon konnte sie nicht mehr sehen.
Mittwoch
Als Walde auf dem Weg zu seinem Büro bei Grabbe und Gabi hereinschauen wollte, saß Sattler, der Leiter der Kriminaltechnik, vor Gabis Schreibtisch und schaute sich interessiert die Bleilettern an. »Eine klassische Antiqua Bodoni, ich schätze mal von der Größe her Doppelcicero 24 Punkt mager.«
»Du kannst mir viel erzählen«, kommentierte Gabi seine Ausführungen.
»Nee, ich kenne mich ein wenig mit Schriften aus. Ich habe mich mal in einem Seminar sehr intensiv mit anonymen Schreiben auseinandergesetzt, Erpresserbriefen und so. Da spielte die Schriftanalyse eine wichtige Rolle, um ausgeschnittene Wörter und Buchstaben den Medien zuzuordnen, aus denen sie stammen.«
»Kommst du nun rein oder gehst du wieder?«, fragte Gabi Walde, der immer noch in der offenen Tür verharrte.
»Ich denke, in unserem Fall geht es eher um die Zusammensetzung des Materials als um die Schriftart.« Walde kam ins Zimmer und schloss die Tür. »Habt ihr ein paar Proben von den Lettern
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