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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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sind kein Publikum, wir sind Freunde.« Raisa sah Théo vorwurfsvoll an.
    »Danke für die vorteilhafte Werbung.« Théo ergriff Khalid am Arm. »Wir sprechen uns noch.« Er lächelte Raisa zu und wies mitleidig auf Khalid: »Das ist alles nur Neid, weil ich besser spiele als er.« Dann erhob er sich, zog Khalid hoch und schleifte ihn hinter sich her. »Beweg dich, Mistkerl. Wir sind gleich zurück.«
    Die beiden entfernten sich leise zankend und verschwanden dann jeder in seinem Zelt. Auf dem Weg zurück zum Lagerfeuer, die Instrumente in der Hand, hielt Théo Khalid fest und sagte etwas.
    »Du hast im Louvre gekündigt? Um nach Kos zu gehen und Wein anzubauen?« Khalid wedelte mit einer Hand vor Théos Augen. » Shmallah ! Der Schlag des Monsignore war doch stärker, als ich dachte.«
    Sie kehrten in den Kreis der Beduinen zurück.
    »Wir spielen das Adagio in g-Moll von Albinoni, ein Stück, das uns wie für diesen Ort geschrieben erscheint.« Théo wies mit dem Bogen auf die Dünen und den besternten Himmel, dann zeigte er damit auf Khalid, der ihn noch immer entsetzt anschaute.
    Der Bogen glitt über die Saiten, und Khalids Finger bewegten sich flink über das Flötenrohr. Auf den Instrumenten und den bärtigen Gesichtern der gebannt lauschenden Beduinen zuckte der Widerschein der Flammen. Tosender Beifall erhob sich.
    Das Echo des Klatschens war noch nicht verklungen, als Zac, einer der beiden Australier, sich erhob und eine Mundharmonika aus der Tasche zog.
    »Unser Waltzing Matilda ist zwar nicht das Adagio von Albinoni, aber bestimmt nicht schlechter. Los, Brandon, zeigen wir diesen Herrschaften, wozu wir Australier fähig sind.«
    Théo applaudierte mit den anderen, als die beiden ihr Lied gesungen hatten. »Wir haben euch doch schon einmal gesehen? Wart ihr nicht vor zehn Tagen in dieser Gegend? Und habt dasselbe Lied gesungen?«
    » Sure, mate «, sagte Brandon. »Das waren wir.«
    »Warum singt ihr immer dieses Lied? Was bedeutet Waltzing Matilda ?«
    »Was es bedeutet?«, rief Zac aus. » Waltzing Matilda ist der Geist Australiens!«
    Waltzing Matilda sei australischer Slang und bedeute, ohne ein bestimmtes Ziel zu vagabundieren. Matilda war das Bündel des Vagabunden und waltzing die schaukelnde Bewegung dieses Bündels auf dem Rücken des umherstreifenden Müßiggängers. Das Lied erzählte die Geschichte eines Wanderarbeiters, einer von denen, die durch das australische Outback von Farm zu Farm zogen. Er ertrank, als er versuchte, ein Schaf zu stehlen. Jemandem, der Australien nicht kannte, mochte die Ballade nicht viel sagen, erklärte Zac, aber man müsse sie im historischen Kontext eines Landes sehen, das ursprünglich eine Strafkolonie gewesen war, das wirtschaftliche Depression und Gewerkschaftskämpfe erlebt hatte und wo es die Lust am bis zur Neige ausgekosteten Leben gab, das carpe diem des Umherziehens durch die grenzenlosen Weiten Australiens auf der Suche nach allem und nichts. Darum gelte Waltzing Matilda vielen Australiern als die wahre Nationalhymne, die ihnen viel näher war als die offizielle Hymne Advance Australia Fair .
    »Das wahre Australien«, schloss Zac, »ist nicht das des Bürgertums von Sydney und Melbourne, sondern das von Leuten wie uns, die im Norden leben. Wir sind die Songlines , die Traumpfade.«
    »Die Traumpfade?«, fragte Théo.
    »Es sind die Wege, über die die Urwesen in den Anfängen der Schöpfung gingen«, sagte Zac. »Die Aborigines wussten das alles, bevor wir Weißen mit unserer ›Kultur‹ kamen, um ihr Leben zu ruinieren.«
    Die Urwesen seien die Urahnen der Aborigines, sagte Zac, Gottheiten von halb menschlicher, halb tierischer Gestalt, die in einem Goldenen Zeitalter gelebt hatten, das Traumzeit genannt wurde.
    Wie die Aborigines waren auch die Urwesen Wanderer. Ganz Australien hatten sie auf einem labyrinthischen Netz aus Abertausend von Pfaden durchquert, den Traumpfaden. Auf ihren Wanderungen hatten sie getanzt, gespielt, sich geliebt und gesungen, darum hießen diese Pfade auch Songlines . Und sie hatten wandernd nicht nur die Pflanzen, die Tiere und die Menschen erschaffen, sondern auch die Regeln menschlichen Zusammenlebens. Die Geschichten dieser Schöpfung fanden sich in den Legenden der Aborigines und auf den Felszeichnungen im Hinterland wieder, zum Beispiel auf dem Ayers Rock.
    Die von den Urwesen geschaffenen und mit ihrem magischen Atem beseelten Berge, Flüsse und Bäume waren zu heiligen Stätten der Eingeborenen geworden, zeitlosen

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