Curia
ist ja unglaublich!«
»Was?«
»Ich denke an Freuds Buch Der Mann Moses und die monotheistische Religion und an meinen Vortrag. Freud hatte wirklich alles vorhergesehen.«
»Was meinst du?«
»Freud schrieb, dass die Israeliten, nachdem sie aus Ägypten geflohen waren, Moses umbrachten und in der Wüste begruben. Weißt du, wie er das erklärt hat? Mit den repressiven Mechanismen, die sich im kollektiven Unterbewussten verbergen, und mit dem Antrieb zur Ermordung des ›Urvaters‹, einem Impuls, den jeder von uns angeblich in seinen Genen trägt.«
Nachdem die Israeliten Moses umgebracht hatten, kehrten sie zu ihren heidnischen Gottheiten zurück, genau wie die Anhänger Echnatons. Laut Freud sei der Mord des biblischen Mose die Ursache für den vererbten Schuldkomplex des jüdischen Volkes.
»Das kollektive Gedächtnis der Stämme Judas hat die mündlichen Traditionen des Landes Midian einfach übernommen, wahrscheinlich direkt von den Kenitern, die nach Kanaan ausgewandert waren«, sagte Raisa. »Stell dir vor, Freud hat das alles entdeckt, ohne einen Schritt vor die Tür machen zu müssen. Allein, indem er in der Psyche des Menschen grub.«
Théo lachte skeptisch und schüttelte den Kopf.
»Warum lachst du so eigenartig?«
»Recht hast du. Ich müsste weinen. Ich lache über einen Gott aus einem Vulkan, in dessen Namen Juden, Christen und Moslems für sich und andere die Hölle auf Erden geschaffen haben.«
»Immerhin bleibt noch er, Echnaton.« Raisa zeigte auf den Text des Papyrus. »Hat es sich nicht allein dafür gelohnt, dass du diesen Papyrus lesen konntest? Kannst du dir einen außergewöhnlicheren Menschen als ihn vorstellen? Ein Mann, der vor dreiunddreißig Jahrhunderten gelebt hat.«
Théo hielt Raisa eine Hand über die Augen. »Nicht blinzeln. Ich habe dir etwas mitgebracht.«
»Ein Geschenk? Was ist es?«
Er legte ihr die Kette in die Hand.
»Der Anhänger, von dem du mir am Telefon erzählt hast?« Raisa hob die Kette hoch, und Théo drehte die Statuette ins Gegenlicht, sodass die grüne Ader durch den Türkis schimmerte. »Nein, Théo, das ist zu viel. Behalt du sie. Das ist das Mindeste, nach allem, was du durchgemacht hast.«
»Du bist eine halbe Ägypterin. Dir steht sie zu. Außerdem sähe Echnaton sie sicher viel lieber an deinem Hals als in einer Museumsvitrine.«
Die dunkle Silhouette Khalids näherte sich. Théo und Khalid umarmten sich, und Théo stellte Khalid und Raisa einander vor. Dann gingen sie zum Parkplatz und luden ihr Gepäck auf den Toyota.
Khalid zog einen Geigenkoffer hervor. »Erkennst du den wieder?«
»Meine Jaeger? Wie hast du das gemacht?«
»Als wir am letzten Tag aus dem Lager aufgebrochen sind, hatte ich eine Art Vorahnung.« Khalid zeigte zum Himmel. »Also bin ich an deinem Zelt vorbeigegangen und habe sie mitgenommen, ohne dir davon zu erzählen.«
Sie folgten den Schildern, die auf die Schnellstraße zum Sueskanal führten. Der erste Halt sei in der Nähe der Oase von Nakhl geplant, sagte Khalid. Sie würden die Nacht mitten in der Wüste in einem Beduinenlager verbringen. Dort bereiteten seine Freunde schon ein großes Abendessen vor.
Im Mondschein flackerten die Petroleumlampen vor den Zelten, die um ein großes Feuer herumstanden. Der Duft von gebratenem Fleisch und Minztee erfüllte die Luft.
Vier Beduinen trugen ein riesiges Tablett, auf dem sich Hammelfleisch, gekochtes Gemüse, Reis und Fladenbrot türmten, und stellten es in der Nähe des Feuers ab. Théo, Raisa und Khalid saßen neben den Stammesältesten in einem großen Kreis, in den sich auch zwei junge Australier gesellt hatten. Sie waren auf ihrer Radtour durch den Sinai Gäste der Beduinen.
Während alle sich mit den Händen bedienten, erzählte das Oberhaupt des Stammes Geschichten von Karawanen in der Wüste. Dann wurde mit Kardamom gewürzter Kaffee serviert, und eine Wasserpfeife machte die Runde, deren Tabak ein Apfelaroma hatte. Die Männer sangen ein Lied der Nomaden des Sinai, begleitet von einer Rohrflöte und einem Streichinstrument mit einer Saite. Dann stand ein Beduine auf und flüsterte Khalid etwas zu.
»Er fragt, warum wir ihnen nicht etwas vorspielen«, erklärte Khalid. »Meine Flöte kennen sie schon, aber deine Geige macht sie neugierig.«
»Oh ja, Théo«, sagte Raisa. »Bitte.«
»Ach, es ist zwecklos, Raisa.« Khalid schüttelte den Kopf. »Théo ist ein unsympathischer Eigenbrötler, wie alle Existenzialisten. Er spielt nie vor Publikum.«
»Wir
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