Cyberabad: Roman (German Edition)
... Unsere Klimaanlage ... unser Vermieter ist verpflichtet, sie instand zu halten. Ein geharnischter Brief wäre vielleicht ... Bitte, etwas Chai. Ich persönlich finde heißen Chai das erfrischendste Getränk, wenn die Hitze am schlimmsten ist.«
Thomas Lull ist anderer Ansicht, aber der Anwalt hat bereits mit seiner kleinen Glocke nach dem Büro-Wallah geklingelt.
»Ich habe gehört, dass es in Jharkhand bereits regnet.« Der Junge serviert den heißen, übersüßten Chai auf einem Messingtablett. Nagpal nimmt seine Tasse und kippt den Inhalt hinunter. Nagpal von Nagpal, Pahelwan und Dhavan ist ein Mann, der sich älter verhält, als er ist. Thomas Lull ist seit Langem ein Anhänger der Theorie, dass jeder Mensch ein inneres spirituelles Alter hat, das er sein ganzes Leben lang beibehält. Er selbst ist bei fünfundzwanzig stehen geblieben. Dieser Advokat ist Ende fünfzig, obwohl sein Gesicht und seine Hände kaum älter als dreißig wirken. »Nun gut, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Von diesem Büro wurde ein Foto an meine Kollegin hier geschickt«, sagt Thomas Lull.
Nagpal runzelt die Stirn und schürzt die Lippen zu einem kleinen Oh? Kij schiebt ihren Palmer über den Schreibtisch. Thomas Lull schätzt die Temperatur auf etwas über vierzig Grad, aber sie wirkt völlig kühl und entspannt. Ihre Tilaka scheint im halbdunklen Büro zu leuchten.
»Es wurde mir an meinem achtzehnten Geburtstag zugestellt«, erklärt Kij.
»Ah, jetzt verstehe ich!« Nagpal öffnet seinen Palmer in einem handgefertigten Lederetui und ruft Akten auf. Thomas Lull liest das Spiel der Finger des Anwalts, die Bewegung seiner Pupillen, wie sich seine Nasenlöcher weiten. Wovor hast du Angst, Anwalt Nagpal mit deinen Diplomen, Qualifikationen und Zertifikaten an der Wand? »Ja, Ajmer Rao. Sie sind den weiten Weg aus Bangalore hergekommen, höchst ungewöhnlich, und das in diesen unruhigen Zeiten. Das Foto zeigt, wie ich glaube, Ihre biologischen Eltern.«
»Blödsinn«, sagt Thomas Lull.
»Sir, das Foto zeigt ...«
»Jean-Yves und Anjali Trudeau. Sie sind recht bekannte KL-Forscher. Ich habe jahrelang mit ihnen zusammengearbeitet. Und während der theoretischen Empfängnis von Kij hatte ich täglichen Kontakt mit Anjali und Jean-Yves in Strasbourg. Wenn jemand schwanger gewesen wäre, hätte ich es bemerkt.«
»Mit allem Respekt, Mr. Lull, aber es gibt moderne Techniken, Leihmütter ...«
»Mr. Nagpal, Anjali Trudeau hat während ihres ganzen Lebens keine einzige lebensfähige Eizelle hervorgebracht.«
Der Anwalt kaut angewidert auf der Unterlippe.
»Also lauten unsere Fragen: Wer sind Kijs natürliche Eltern, und wer hat Ihnen die Anweisung erteilt, ihr dieses Foto zu schicken? Hier treibt jemand seltsame Spielchen mit ihr.«
»So sehr ich Miss Raos Verwirrung nachempfinden kann, ist es mir nicht gestattet, diese Information preiszugeben, Mr. Lull. Hier geht es um meine anwaltliche Schweigepflicht.«
»Ich könnte jederzeit mit den beiden reden. Dass ich hier bei Ihnen bin, ist eine reine Formalität.«
»Das halte ich für ausgeschlossen. Verzeihen Sie meine Unverblümtheit, aber Mr. und Mrs. Trudeau sind verstorben.«
Thomas Lull hat das Gefühl, dass sich der dunkle, schwitzende, vollgestopfte Raum von innen nach außen stülpt.
»Was?«
»Sir, zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Mr. und Mrs. Trudeau gestern Vormittag bei einem Wohnungsbrand ums Leben kamen. Die Ursache ist ungeklärt, die Polizei ermittelt.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie ermordet wurden?«
»Ich kann nur sagen, Sir, dass der Vorfall die Aufmerksamkeit der staatlichen Ermittlungsbehörde erregt hat, die inoffiziell als das ›Ministerium‹ bezeichnet wird.«
»Die Krishna Cops?«
»So ist es. Die Wohnung befindet sich angeblich im Badrinath-Sundarban.«
»Sie haben mit den Datenrajas zusammengearbeitet?«
Nagpal breitet die Hände aus. »Dazu könnte ich bestenfalls Spekulationen anstellen.«
Thomas Lull spricht langsam und deutlich, damit der Anwalt genau versteht, was er meint. »Haben Sie vom Badrinath-Sundarban den Auftrag erhalten, dieses Foto an Kij zu senden?«
»Mr. Lull, ich habe eine Mutter, mehrere Brüder, eine verheiratete Schwester mit drei Kindern, die Götter mögen sie segnen. Ich bin öffentlich bestellter Notar und befugt, Eide zu beurkunden, und das unter keineswegs gesundheitsfördernden Umständen. Hier sind Mächte am Werk, die ich gar nicht verstehen muss, um zu wissen, dass sie sehr
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