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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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ihnen zu vergraben. »He, Funny Man.« Eine beiläufige Handbewegung in Richtung der ordentlichen kleinen Linie Koks auf dem schwarzen Marmor. »Nur für alle Fälle.«
    »Lenny Bruce war kein Desi«, sagt Vishram Ray. Er stößt schnaufend den Atem aus. »Also los.« Marianna Fusco lässt sich von ihrem Marmorsitz gleiten und wischt die Linie ins Waschbecken.
    Wenn sie ihm eine Zigarette angeboten hätte ...
    Vishram macht sich auf den Weg durch den Korridor. Seine Ledersohlen knirschen leise auf den polierten Holzintarsien. Marianna und Indira sind hinter ihm, und mit jedem Schritt geht er etwas aufrechter, etwas stolzer. Der Aufwärmer hat inzwischen das Publikum vorbereitet, die Leute bearbeitet, die Säfte zum Fließen gebracht, ihr auf der linken Seite klatscht, ihr auf der rechten pfeift, ihr auf der Galerie brüllt ganz laut! Für! Mister! Vishram! Raaaaaaay!
    Die Türflügel aus geschnitztem Holz schwingen auf, und alle Gesichter am transparenten Tisch richten sich auf Vishram. Ohne ein Wort verteilt sich sein Gefolge um den Tisch und nimmt die zugeteilten Plätze ein, Indira zu seiner Rechten, Marianna Fusco zu seiner Linken, ihre Berater in den Kulissen. Indira hat seit fünf Uhr an diesem Morgen mit ihnen geprobt. Als er seinen Palmer und den Aktenkoffer mit kunstvollen Holzintarsien (kein Leder: die Philosophie eines ethischen Hindu -Energieunternehmens) an seinem Platz am Kopfende des Tisches ablegt, nickt Vishram rechts Govind und links Ramesh zu. Er bemerkt, dass Ramesh wenigstens in einen anständigen Anzug investiert hat. Sein Bart sieht nicht ganz so struppig aus. Zeichen. Es gibt keinen Unterschied zu einem Comedy-Auftritt oder einem Gerichtsprozess, es geht immer darum, die Zeichen zu lesen. Das Team Vishram wartet darauf, dass sich sein Leader setzt. Die Berater beäugen sich gegenseitig. Vishram wirft einen Blick auf die Aktionäre. Indira-online verfügt über eine raffinierte kleine Info-Funktion, die ihn automatisch mit einem Profil, prozentualen Hochrechnungen, dem bisherigen Wahlverhalten und Einschätzungen versorgt, wie sie sich diesmal entscheiden werden. Viele der Aktionäre sind virtuell vertreten, entweder über Videolink oder durch Kaih-Repräsentanten, die nach dem Vorbild ihrer Persönlichkeit modelliert sind. Kein US-amerikanischer Vorstand würde so etwas als demokratische Aktionärsversammlung akzeptieren. Vishram schaltet Indiras kleines Spielzeug aus. Er wird es auf die althergebrachte Weise machen, wie ein Stand-up-Comedian. Er wird nach subtilen Anzeichen suchen, nach dem Potenzial, einem verzogenen Mundwinkel ein Lächeln zu entlocken, die Aufforderung in den Augenwinkeln, die sagen: Gut, mach weiter, unterhalte mich.
    Die Fronten sind alles andere als offenkundig. Selbst auf seiner Seite gibt es Großaktionäre wie SKM ProSearch, die gegen ihn stimmen werden. Viel zu unsicher. Ein Blick zu Indira, ein Blick zu Marianna. Vishram Ray erhebt sich. Die Blase aus leisen Unterhaltungen rund um den Tisch platzt.
    »Meine Damen und Herren, verehrte Aktionäre von Ray Power, ob materiell oder virtuell.« Die Tür zum Sitzungssaal geht auf. Mitten in seinem Blickfeld betritt seine Mutter den Raum und nimmt auf einem Sitz an der Wand Platz. »Ich danke Ihnen allen, dass Sie sich an diesem Morgen hier eingefunden haben, einige von Ihnen unter erheblichen persönlichen Risiken. Diese Sitzung wird unweigerlich von den jüngsten Ereignissen überschattet, am dramatischsten durch die brutale Ermordung unserer Premierministerin Sajida Rana. Ich bin überzeugt, dass Sie alle mein Mitgefühl für die Familie Rana in dieser schweren Zeit teilen.« Zustimmendes Gemurmel aus der Runde. »Ich für meinen Teil werde uneingeschränkt die Bemühungen unserer neuen Regierung der Nationalen Rettung unterstützen, zur gewohnten Ordnung und Stärke zurückzufinden. Ich bin mir sicher, dass sich einige von Ihnen gefragt haben, ob es angemessen ist, diese Sitzung angesichts der politischen Situation abzuhalten. Ich könnte Ihnen sagen, dass ich es nicht getan hätte, wenn es nicht um wichtige Interessen dieses Unternehmens gegangen wäre. Darum geht es, aber es gibt noch ein weiteres Prinzip, von dem ich finde, dass es gerade in Zeiten wie diesen hochgehalten werden muss. Die Augen der ganzen Welt blicken auf Bharat, und ich glaube, wir müssen demonstrieren, dass zumindest für Ray Power alles seinen gewohnten Gang geht.«
    Überall nickende Köpfe, vorsichtiger Applaus. Vishram lässt den Blick über

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