Cyberabad: Roman (German Edition)
ihr Genderlichen, denkt Thal. Harte Jungs, brutale Jungs, ihr glaubt, euch gehört die Straße, ihr glaubt, ihr könnt tun, was ihr wollt, und niemand wird euch aufhalten, weil ihr starke, wilde, junge Männer seid, aber dieses Neut hat euch besiegt. Ich habe die Waffe in der Hand, und sie hat mir den Aufenthaltsort des Mannes verraten, der euch damit vernichten wird. »Kennen Sie diese Adresse?«, fragt Thal und beugt sich über die Rückenlehne, um dem Fahrer den Palmer vor das Gesicht zu halten. Draußen jenseits der spritzenden Scheibenwischer wird die Nacht stumpfgrau. Der Taxi-Wallah wackelt mit dem Kopf.
»Eine lange Fahrt.«
»Dann kann ich mir etwas Schlaf gönnen«, sagt Thal und lässt sich gegen das schmierige Polster fallen. Zum Teil ist es die Wahrheit, zum Teil ist es ein Hinweis für den Fahrer, dass er nicht weiter über den Zustand der Nation plappern soll.
Doch dann greift Najia nach sys Arm und flüstert: »Thal, was soll ich nur tun? Sie hat mir Dinge gezeigt, über meinen Vater, als wir in Afghanistan lebten. Thal, schreckliche Dinge, von denen sonst niemand wissen kann ...«
»Sie lügt. Sie ist eine Soap-Opera-Kaih, es ist ihre Spezialität, minimale Informationen mit maximaler emotionaler Wirkung zu Geschichten zu verknüpfen. Komm schon, Schwester, wer hat nie Probleme mit den Eltern gehabt?«
In den anderthalb Stunden, die der Maruti braucht, um schwelenden Müllfeuern und Kontrollpunkten auszuweichen, sich durch Barrikaden aus verbrannten Autos zu zwängen, über Hakenkreuze und Jai-Bharat! -Aufrufen zu fahren, die auf die Straße gemalt wurden, hört Thal im Radio vierundzwanzigmal die Nationalhymne, unterbrochen von kurzen Bekanntmachungen aus dem Rana Bhavan über die Erfolge der Regierung der Nationalen Rettung bei der Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit. Ys drückt Najias Hand, und wenig später hört sie auf, leise in den Ärmel ihres weichen grauen Fleecetops zu weinen.
Dann weigert sich der Taxi-Wallah, mit seinem schönen Maruti auf den dreckigen Schotterweg zu fahren.
»Baba, für das, was ich Ihnen zahle, können Sie sich ein neues Taxi kaufen«, ruft Thal. Dann rollt ihnen der Mercedes auf dem langen geraden Fahrdamm entgegen, an dessen Ende die von Mauern umgebene Jagdhütte liegt, die im grauen Nieselregen kaum zu erkennen ist. Er hupt wütend. Thal überprüft ihre Position auf dem Palmer und tippt dem Fahrer auf die Schulter. »Halten Sie diesen Wagen auf«, befiehlt ys.
»Diesen Wagen?«, fragt der Fahrer. Thal reißt die Tür auf. Der Fahrer flucht, kommt schlitternd zum Stehen. Ohne auf Widerspruch zu warten, hat Thal den Wagen verlassen und läuft durch den leichten Regen auf das andere Fahrzeug zu. Scheinwerfer blitzen auf und blenden ys. Der Motor gurgelt kehlig. Die Hupe ist tief und polyphon. Thal schirmt die Augen mit den Händen ab und geht weiter. Der Mercedes macht einen Satz in sys Richtung.
Najia drückt die Hände an die Scheibe und schreit, als sie sieht, wie der Wagen auf Thal in sys verdreckten schicken Sachen zufährt. Thal hebt nutzlos eine Hand. Bremsen kreischen und blockieren im klebrigen Sumpfschlamm. Najia schließt die Augen. Sie weiß nicht, wie es sich anhört, wenn eine nordeuropäische Maschine im Wert von einer halben Million Rupien auf einen chirurgisch umgerüsteten menschlichen Körper trifft, aber sie ist davon überzeugt, dass sie es erkennen wird, wenn sie es hört. Sie hört es nicht. Sie hört, wie eine schwere Autotür zugeschlagen wird. Sie wagt es, die Augen wieder zu öffnen. Der Mann und das Neut stehen im spätnächtlichen Regen. Das ist Shaheen Badoor Khan, denkt Najia. Sie erinnert sich daran, wo sie ihn schon einmal gesehen hat, auf den Fotos aus dem Club. Blitzlicht auf dunklen Polstersesseln, geschnitztem Holz, polierten Oberflächen, aber der Dialog ist der gleiche, zwischen Politiker und Neut. Diesmal überreicht das Neut das Objekt der Macht. Shaheen Badoor Khan ist kleiner, als sie sich vorgestellt hat. Sie versucht ihn zu charakterisieren: Verräter, Feigling, Ehebrecher, Idiot. Doch all ihre Anschuldigungen werden wie Sterne in ein Schwarzes Loch zum Bild des Raumes am Ende des Korridors gezogen, dem Raum, in dem sie niemals war, dem Raum, von dem sie niemals wusste, dass er existierte, dem Raum am Ende ihrer Kindheit, wo ihr Vater sie willkommen heißt. Hier wird Geschichte gemacht, versucht sie sich zu sagen, um die schreckliche Gravitation dessen zu überwinden, was die Kaih ihr über ihren Vater
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