Cyberabad: Roman (German Edition)
dringen durch den Notausgang ein. Die Luft ist mit stechendem Chiliqualm geschwängert. Mr. Nandha spürt, wie der Rauch in seiner Kehle kratzt, während er sich in seine Avatare vertieft und sein mächtigstes Programm aufruft: Kali, die Zerstörerin. Er klinkt sich ins Fabriknetz ein und entlässt sie ins System. Sie wird sich im Funk- und Kabelnetz ausbreiten und sich in jeden mobilen und stationären Prozessor kopieren. Alles, was keine Lizenz besitzt, wird sie markieren, aufspüren und löschen. Von Tikka-Pasta Inc. werden nur noch Fetzen übrig sein, wenn Kali ihre Arbeit beendet hat. Sie ist ein Grund, warum Mr. Nandha die Fabrik isoliert hat. Würde man Kali ins globale Netz entlassen, könnte sie innerhalb von Sekunden einen Schaden von unvorstellbarem Ausmaß anrichten. Es gibt keinen besseren Kaih-Jäger als eine andere Kaih. Mr. Nandha hält die Waffe bereit. Oft genügt bereits die bloße Witterung Kalis, um eine Kaih aus ihrem Versteck zu locken wie eine Schlange, die sich einem Mungo stellt.
Bei voller Leichthoek-Auflösung ist Kali ein erschreckender Anblick, mit dem Gürtel aus abgetrennten Händen, die Säbel gereckt, die Zunge ausgestreckt und die Augen weit aufgerissen, während sie über der langsam herabsinkenden Chilirauchwolke aufragt. Um sie herum erlöschen Datenkonstellationen, eine nach der anderen. So muss der Tod sein, denkt Mr. Nandha. Das zarte blaue Glimmen des Informationsflusses flackert und geht schließlich ganz aus. Immer mehr Nervenimpulse setzen aus, die Wahrnehmungen verblassen, das Bewusstsein löst sich auf.
Die verstummenden Maschinengeräusche verunsichern Sen, und sie tritt näher an Mr. Nandha heran. Hier sind Mächte und Wesenheiten am Werk, die sie nicht begreift. Als sich eine ganze Minute lang nichts gerührt hat oder dunkel geworden ist, sagt Sen: »Glauben Sie, dass jetzt alle ausgeschaltet sind?«
Mr. Nandha fordert einen Bericht von Kali an.
»Ich habe zweihundert verdächtige Dateien und Programme gelöscht. Wenn auch nur ein Prozent davon Kaih-Kopien waren ...« Aber noch etwas anderes als Chilirauch irritiert seine Sinne.
»Was treibt sie dazu? Warum rasten sie plötzlich aus?«, fragt Sen.
»Ich habe festgestellt, dass die Ursache eines Computerproblems in allen Fällen eine menschliche Schwäche ist«, sagt Mr. Nandha und dreht sich langsam im Kreis, auf der Suche nach dem, was sein Misstrauen geweckt hat. »Ich vermute, unser Freund hat illegale Kaih-Hybriden aus den Sundarbans eingekauft. Nach meiner Erfahrung kommt niemals etwas Gutes aus den Datenoasen.«
Sen hat noch eine weitere Frage, aber Mr. Nandha bringt sie zum Schweigen. Er hört eine Bewegung, sehr schwach und sehr weit entfernt. Kali hat gerade noch genug von der Office-Software übrig gelassen, dass Shiva sich in das Sicherheitssystem einklinken kann. Auf den Kamerabildern ist nichts zu sehen, wie er vermutet hat, aber in der diffusen Infrarotwelt rührt sich etwas. Sein Blick schweift zum Brückenkran am Ende der Halle.
»Ich kann dich sehen«, sagt er und gibt Sen einen Wink. Sie geht zum einen Ende des Krans, Mr. Nandha zum anderen. Das Ding scheint sich irgendwo an der Decke aufzuhalten. Sie laufen aufeinander zu.
»Irgendwann wird sie auszubrechen versuchen«, warnt Nandha.
»Was wird ausbrechen?«, flüstert Sen und hält ihre schlagkräftige Waffe bereit.
»Ich hege den Verdacht, dass sie sich in einen Roboter kopiert hat und beabsichtigt, auf diese Weise zu entkommen. Rechnen Sie mit etwas Kleinem, das sich schnell bewegt.«
Mr. Nandha kann es jetzt zwischen den hallenden Schritten der Menschen hören. Etwas krabbelt am Dach und sucht nach einer Fluchtmöglichkeit. Mr. Nandha hebt eine Hand, um Jemadar Sen zu ermahnen, vorsichtig zu sein. Er hat das Gefühl, sich genau darunter zu befinden. Mr. Nandha blinzelt zu dem Nest aus Kabeln und Rohren hinauf. Ein Kameraauge an einem Ausleger schießt auf ihn zu. Mr. Nandha springt zurück. Sen hebt die Waffe, und bevor sie nachdenkt, feuert sie eine Salve auf die Decke ab. Ein Objekt fällt herab, so nahe, dass es Mr. Nandha beinahe gestreift hätte. Ein Ding, das nur aus zappelnden Gliedmaßen und hektischen Bewegungen zu bestehen scheint. Es ist ein Inspektionsroboter, ein kleines, kletterfähiges Spinnenwesen. Einzelne Firmen können sich solche Maschinen normalerweise nicht leisten, aber für gewöhnlich schaffen die Entwicklungsgesellschaften eine an, die für sämtliche Klienten des Blocks arbeitet. Das Ding dürfte also
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