Cyberspace
noch mal umzudrehn.
Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf kam, in die Blauen Lichter zu gehn oder wie ich hinkam.
Stille Korridore und der echt raffinierte, dekorative Wasserfall, der irgendwo plätscherte, oder war's nur ein Hologramm? Ich war reichlich mit Geld bestückt an jenem Abend; Bobby hatte
abkassiert, weil er für jemand ein Drei-Sekunden-Fenster in irgendein Eis aufgetan hatte.
Ich hatte nicht den Eindruck, den Türstehern zu gefallen, aber mein Geld war sicher
willkommen.
Ich soff weiter, als ich erledigt hatte, wozu ich hergekommen war. Dann blödelte ich den
Barkeeper mit einem Witz über Nekrophile an, den der offenbar in den falschen Hals kriegte. Der Barkeeper, ein Schrank von einem Kerl, schimpfte mich nun einen Kriegshelden, was mir
wiederum nicht gefiel. Ich glaube, ich zeigte ihm ein paar Tricks mit dem Arm, bevor die Lichter ausgingen. Zwei Tage später wachte ich in irgendeinem schmucklosen Schlafmodul auf. Es war ein billiges Loch - so eng, daß man sich nicht mal aufhängen konnte. Und da hockte ich auf der schmalen Schaumstoffmatratze und heulte.
Manches ist schlimmer als Alleinsein. Aber was sie im Haus der Blauen Lichter feilbieten ist so beliebt, daß es fast schon legal ist.
Im Kern der Dunkelheit, dem stillen Zentrum, verwirbeln die Störsysteme die Schwärze mit
orkanartiger Lichtflut, transparenten Rasierklingen, die von uns wegtrudeln. Wir sitzen im Zentrum einer stillen Zeitlupen-Explosion. Eissplitter fliegen endlos davon, und Bobbys Stimme dringt durch Lichtjahre von Elektronik und Illusion zu mir durch ...
»Brenn das Luder nieder! Ich kann das Ding nicht mehr aufhalten.«
Das russische Programm jagt die Datentürme empor und tilgt die Kinderzimmerfarben aus. Und ich stoße Bobbys selbstfabriziertes Befehlspaket mitten in Chroms kaltes Herz. Die Transmission beginnt, ein Schwall verdichteter Informationen, der schnurstracks aufschießt, vorbei am
wachsenden dunklen Turm, dem russischen Programm, während Bobby sich abrackert, um
diesen kritischen Moment zu meistern. Ein ungeformter dunkler Arm löst sich vom Schattenturm
- zu spät.
Wir haben's geschafft.
Die Matrix faltet sich um mich wie ein Origami-Trick.
Und im Speicherraum stinkt's nach Schweiß und schmorenden Drähten.
Ich gaubte, Chroms rohen, metallisch klirrenden Schrei zu hören, aber das konnte nicht sein.
Bobby lachte, Tränen in den Augen. Als abgelaufene Zeit stand in der Ecke des Monitors
07:24:05. Die Verbrennung hatte keine acht Minuten gedauert.
Und ich sah, daß das russische Programm im Schlitz geschmolzen war.
Wir hatten den Großteil von Chroms Züricher Konto weltweit an ein Dutzend
Wohltätigkeitsverbände verteilt. Es lag so viel drauf, daß wir's gar nicht ganz ausräumen konnten. Freilich war uns klar, daß wir sie vernichten, total niederbrennen mußten, um einer Verfolgung zu entgehen. Wir zweigten weniger als zehn Prozent für uns selber ab und jagten es durch die Long Hum-Anlage in Macao. Die behielten sechzig Prozent davon für sich und
spuckten den Rest durch die ver-schlungensten Pfade der Hongkonger Börse an uns aus. Es
dauerte eine Stunde, bis das Geld nach und nach auf den beiden Konten, die wir in Zürich
eröffnet hatten, eintraf.
Ich verfolgte auf dem Monitor, wie sich die Nullen hinter eine belanglose Ziffer reihten. Ich war reich.
Dann läutete das Telefon. Es war Miles. Beinahe hätte ich die Parole verpatzt.
»Heh, Jack. Mann, ich kapier nicht - was soll'n das mit deinem Mädel? Echt komisch, du ...«
»Was denn? Sag schon!«
»Hab mich rangehängt, wie du sagtest, und folgte ihr dicht, aber unauffällig. Zuerst geht sie ins Loser, hängt da rum, steigt dann in die U-Bahn. Fährt ins Haus der Blauen Lichter ...«
»Was?«
»Seiteneingang. Nur für 3HUVRQDO Hatte keine Chance, durch das Sicherheitssystem
reinzukommen.«
»Ist sie da noch?«
»Nö du. Hab sie gerade aus den Augen verloren. Hier ist die Hölle los, Mann. Als würden sie die Blauen Lichter dicht machen, endgültig zu. Gab sieben verschiedene Alarme, alles rannte, die Bullen rückten krawallmäßig an ... Und jetzt kommt der Rest, die Versicherungsheinis, die Immobilien-fritzen, Laster von der Stadtverwaltung ...«
»Miles, wo ist sie hin?«
»Hab sie verloren, Jack.«
»Hör zu, Miles, behalt das Geld im Kuvert, klar?«
»Im Ernst? Eh, tut mir echt leid. Ich ...«
Da legte ich auf.
»Wart, bis wir's ihr sagen«, meinte Bobby, der sich mit einem Handtuch die
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