Cyberspace
überhäuft. In Gibsons Texten finden wir uns auf der Straße wieder, in der Gosse, der muffigen, wo's ums nackte Überleben geht, wo High Tech ein permanentes unterschwelliges Hintergrundrauschen bildet- »wie ein fehlgeschlagenes darwinistisches Experiment aus der Feder eines gelangweilten Forschers, der den Daumen ständig auf der Schnellvorlauftaste behielt«.
In seiner Welt ist die große Wissenschaft kein Wunderbrunnen schrulliger Genies, sondern eine allgegenwärtige, alles durchdringende, greifbare Kraft.
Die Geschichten zeichnen ein Bild der modernen Misere, das ein jeder auf den ersten Blick erkennt. Gibsons Extrapolationen führen uns mit überspitzter Klarheit den verborgenen Teil eines Eisbergs sozialen Wandels vor. Dieser Eisberg treibt mit finstrer Majestät durchs späte zwanzigste Jahrhundert, aber seine Proportionen sind gewaltig und düster.
Viele SF-Autoren haben angesichts dieses lauernden Monsters die Hände hochgeworfen und Schiffbruch prophezeit. Gibson freilich, dem man andrerseits sicher keinen blinden Optimismus vorwerfen kann, hat es sich nicht so leicht gemacht. Dies ist ein weiterer Wesenszug der aufkommenden neuen SF-Schule der 80er: die Apokalypse langweilt. Gibson verschwendet
wenig Zeit damit, den mahnenden Finger zu erheben oder sich die Hände zu ringen. Er hält unverzagt die Augen offen und scheut sich nicht - um mit Algis Budrys zu sprechen - vor Schwerstarbeit. Das sind seine Kardinaltugenden.
Ein weiteres Anzeichen deutet darauf hin, daß Gibson einem neuen Konsens innerhalb der SF
angehört: die Leichtigkeit nämlich, mit der er mit anderen Autoren zusammenarbeitet. Drei solche Gemeinschaftsproduktionen bietet diese Sammlung. »Zubehör« ist ein selten gelungenes Stück, ein Stück düstere Phantasie, die vor irrwitzigem Surrealismus überschäumt. »Roter Stern, Winterorbit«, gleichfalls in naher Zukunft angesiedelt, spielt vor einem liebevoll ausfabulierten authentischen Hintergrund und weist den globalen, multikulturellen Standpunkt auf, der die SF
der 80er entscheidend prägt. »Luftkampf« ist eine grausam konsequente und brutal verzwickte Geschichte mit Gibsons klassischem 1:2-Verhältnis von /RZOLIH und +LJK 7HFK
In Gibsons Werk klingt der Ton einer Dekade an, die endlich eine eigene Stimme gefunden hat.
Dabei ist Gibson kein auf den Tisch klopfender Revolutionär. Er bringt frischen Wind in die SF: nämlich die Kultur der 80er mit ihrer wunderlichen Verquickung von Technik und Mode. Er hat eine Vorliebe für Autoren, die sich wohltuend innerhalb der Mainstream-Literatur absetzen: Le Carre, Robert Stone, Thomas Pynchon, William Burroughs, Jayne Anne Phillips. Und er ist ein Anhänger der »unsichtbaren Literatur«, wie J. G. Ballard das Phänomen bezeichnenderweise nannte: der alles durchdringenden Flut wissenschaftlicher Berichte, amtlicher Meldungen und spezieller Werbung, die unsere Kultur bis zur Unkenntlichkeit ummodelt.
Die SF hat einen harten Winter hinter sich und lange vom angesetzten Körperfett gezehrt.
Zusammen mit einer Reihe findiger, ehrgeiziger neuer Autoren hat Gibson das Genre
wachgerüttelt und auf die Suche nach neuer Nahrung geschickt. Und das wird uns allen mächtig gut tun.
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Ich legte die Knarre in eine Adidas-Tasche und stopfte sie mit vier Paar Tennissocken aus, was überhaupt nicht mein Stil war, aber ich hatte mir vorgenommen: Wenn sie dich für primitiv halten, werde technisch; wenn sie dich für technisch halten, werde primitiv. Ich bin ein
ausgesprochen technischer Typ. Also nahm ich mir vor, möglichst primitiv zu werden. Dabei muß man heutzutage allerdings erst ziemlich technisch sein, bevor man überhaupt brutal werden kann. Ich hatte die beiden zwölfkalibrigen Patronen auf der Drehbank aus Messing anfertigen und dann selber laden müssen; ich mußte ein altes Mikrofiche ausgraben, wo erklärt wird, wie man Patronen von Hand lädt; ich mußte das Schloß für die Zündbolzen umbauen - alles recht kompliziert. Aber ich wußte, daß die Dinger gehn.
Treffpunkt war 23 Uhr im Drome, aber ich fuhr mit der U-Bahn drei Stationen weiter als zur nächsten Haltestelle und latschte zu Fuß zurück. Tadelloser Vorgang.
Ich musterte mich in der verchromten Seitenwand eines Kaffeekiosks, die normalen, scharfen kaukasoiden Züge mit dem struppigen dunklen Haarschopf. Die Mädchen im Under the Knife
waren Sony Mao-mäßig aufgemacht; und es wurde zusehends
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