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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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und der Schraubstock steckte unter einem transparenten Staubschutzdeckel. Der
    eigentliche Arm ist nur einen guten Zentimeter lang und schwenkt aus wie der Tonarm an so
    'nem Plattenspieler. Aber darauf schaue ich nicht, wenn ich die Drähte an meinen Stumpf
    klemme; ich schaue ins Mikroskop, denn da steckt mein Arm in Schwarzweiß, 40fach vergrößert.
    Nach einem Geräte-Check griff ich in den Laser. Er kam mir etwas schwer vor, also schraubte ich den Input des Gewichtsensors auf ein Viertel Kilo pro Gramm runter und machte mich ans Werk. Bei 40facher Vergrößerung sah das Programm von der Seite wie ein Sattelschlepper aus.
    Ich brauchte acht Stunden, um das Ding zu knacken: drei Stunden mit Waldo und Laser und vier Dutzend Zapfstellen, zwei Stunden am Telefon mit einem Kontakt in Colorado und drei Stunden, um ein Wörterbuch durchzujagen, das acht Jahre altes technisches Russisch übersetzen konnte.
    Dann liefen kyrillische Alphanumerics den Monitor runter, die sich auf halber Strecke in
    Englisch verwandelten. Es gab viele Lücken, wenn das Wörterbuch auf spezielle militärische Akronyme im Ausgabetext stieß, den ich von meinem Mann in Colorado gekauft hatte, aber
    immerhin bekam ich eine gewisse Ahnung, was ich da beim Finnen erstanden hatte.
    Ich kam mir vor wie ein Punker, der loszieht, um sich ein Springmesser zu kaufen, und mit 'ner kleinen Neutronen-bombe heimkommt.
    :LHGHU JHWUNW dachte ich. :DV QW]W GLU
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QHU 6WUD‰HQVFKODFKW" Das
    Ding unter der Schutzhaube war mir ein paar Nummern zu groß. Ich wußte nicht mal, wo ich's abstoßen sollte, wo ich einen potentiellen Käufer finden sollte. Jemand vor mir hatte es gewußt, aber der war nun tot, jemand mit einer Porsche-Uhr und einem gefälschten belgischen Paß, aber ich hatte nie versucht, in solchen Kreisen zu verkehren. Die Straßenräuber des Finnen hatten jemand mit mysteriösen Connections in die Mangel genommen.
    Das Programm im Juwelierschraubstock war ein russischer, militärischer Eisbrecher, ein
    Killervirus-Programm.
    Der Morgen graute, als Bobby heimkam; allein. Ich war über einer Tüte mit Sandwiches vom
    Straßenverkauf im Schoß eingepennt.
    »Wülste die essen?« fragte ich ihn im Halbschlaf und hielt ihm die Sandwiches hin. Ich hatte vom Programm geträumt, von seiner Flut hungriger Störsysteme und numerischer
    Subprogramme; im Traum war es irgendein Tier gewesen, ein gestaltloses, fließendes.
    Er schob die Tüte weg und ging zur Console, drückte eine Funktionstaste. Auf dem Monitor
    flackerte das verflochtene Muster auf, das ich am Nachmittag schon gesehen hatte. Ich rieb mir mit der linken Hand den Schlaf aus den Augen; so was kann ich mit der Rechten nicht. Ich war eingepennt, während ich noch überlegte, ob ich ihm von dem Programm erzählen sollte.
    Vielleicht sollte ich versuchen, es allein zu verkaufen, das Geld behalten, woanders hingehen, Rikki fragen, ob sie mit mir kommen wolle.
    »Wem gehört'n das?« fragte ich.
    Da stand er in seinem schwarzen Cotton-Overall, hatte über die Schulter eine alte Lederjacke drapiert.
    Seit Tagen unrasiert, wirkte sein Gesicht eingefallener als sonst.
    »Chrom«, erklärte er.
    Mein Arm zuckte, fing zu ticken an, als sich der Schreck durch die Karbonkontakte in die
    Myoelektrik fortpflanzte. Die Sandwiches quollen aus der Tüte; schlaffe Sprossen und sattgelbe Schmelzkäsescheiben klatschten auf den ungefegten Holzboden.
    »Du bist total beknackt«, sagte ich.
    »Nein«, sagte er. »Glaubst du, sie hat was gemerkt? Nö du. Sonst wären wir längst tot. Ich bin an sie gekoppelt über ein dreifach abgesichertes Mietsystem in Mombasa und einen algerischen Kommsat. Sie wußte, daß da wer hereinguckte, aber sie konnte den Absender nicht orten ...«
    Falls Chrom Bobbys Abstecher in ihr Eis lokalisiert hatte, dann waren wir so gut wie tot. Aber er hatte wohl recht, denn sonst hätte sie mich schon auf dem Weg von New York umpusten lassen.
    »Warum sie, Bobby? Sag mir 'nen Grund ...«
    Chrom: Ich hatte sie vielleicht ein halbes Dutzendmal im Gentleman Loser gesehen, wo sie
    vielleicht gerade auf Slum-Tour war oder die Lebensbedingungen der Menschen inspizierte -
    Bedingungen, die sie nicht unbedingt anstrebte. Ein süßes, kleines, herzförmiges Gesicht mit den tückischsten Augen, die du je zu Gesicht bekommen hast. Sie hatte immer wie vierzehn
    ausgesehen, soweit man sich zurückerinnern konnte, denn ihr denaturierter Stoffwechsel wurde von einem massiven Serum-und

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