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Cyboria - Die geheime Stadt

Cyboria - Die geheime Stadt

Titel: Cyboria - Die geheime Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. Baccalario
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Opa Primo hatte immer gesagt, es sei ein sehr wertvolles Bild aus den Anfängen des Futurismus, das Atamante vom Maler persönlich geschenkt bekommen hatte. Der Maler hatte darin sogar den von Atamante erfundenen Drehbolzen verewigt. Otto erkannte das schräge gerändelte Teil oben links im Bild, inmitten vieler anderer Elemente.
    Otto ging näher heran und las die Signatur.
    Fünf Buchstaben: Zisch.
    In der Lautsprache von Comics das Geräusch eines Blitzes.
    Was wusste er noch? Otto hatte die Schwester seines Großvaters nie kennengelernt, auch keine anderen Verwandten, mit Ausnahme seiner »Tante« Medea, der Tochter von Algebra. Zum Missfallen ihrer Mutter war Medea Archäologin geworden, eine hochgeschätzte Wissenschaftlerin mit überschäumendem Temperament. Das genaue Gegenteil von Ottos Mutter, und da war es kein Wunder, dass sich die beiden nicht besonders gut verstanden. Auch Ottos Vater hatte eine Aversion gegen seine Cousine, seiner Meinung nach war sie nichts als eine Angeberin. Manchmal ist es besser bescheiden zu sein, als so zu tun, als wisse man alles , sagte er immer. Otto war ganz und gar nicht seiner Meinung, er liebte seine Tante Medea und ihre verrückten Geschichten.
    Stammbaum. Futuristisches Gemälde. Ikosaeder.
    Wo ist der Zusammenhang? , fragte er sich, während er in sein Zimmer zurückging.
    Irgendwann, ohne es zu bemerken, sank er in tiefen Schlaf, das Ikosaeder mit seinen rätselhaften Zahlen auf dem Schoß.

12
Nächtliche Lichter
    D ie Erleuchtung kam per Zufall.
    Im Traum.
    Oder womöglich war er auch schon wach und schlief gar nicht mehr richtig. Er war in diesem Dämmerstadium, das dem Aufwachen vorausging, und sein Herz raste wegen eines Traumes, an den er sich nicht mehr erinnern konnte. Otto blickte an die Zimmerdecke und murmelte: »Es ist gar nicht der Drehbolzen …«
    Das Gemälde des futuristischen Malers Zisch aus der Bibliothek stand ihm deutlich vor Augen. Das Chaos aus explodierten Elementen, Rädchen, Motorteilen, Röhren, Riemenscheiben. Und der Bolzen, Atamantes Drehbolzen links oben.
    Aber das war gar kein Bolzen.
    Otto glitt aus dem Bett, verließ sein Zimmer und schlich durch den Korridor. Im Haus war es still. Es war vier Uhr morgens, vielleicht auch schon fünf, und durch die Ritzen der Fensterläden drang nicht der kleinste Lichthauch. Der Boden unter seinen nackten Füßen war kalt. Otto konnte aus der Ferne die Atemgeräusche seiner Eltern hören, die noch tief und fest schliefen.
    Er ging direkt auf die achteckige Bibliothek zu (die eigentlich gar nicht achteckig war – Otto machte sich eine geistige Notiz, dass er herausfinden wollte, warum sie so genannt wurde), öffnete die Tür und hoffte, dass sie dieses eine Mal nicht quietschen würde. Dann trat er über die Schwelle. Vom Kamin schien ein geheimnisvolles Leuchten auszugehen, aber als er die Spotstrahler in den Bücherregalen anknipste, war dieses Gefühl verschwunden.
    Die Bibliothek wirkte jetzt seltsam zweidimensional, wie gezeichnet.
    Vielleicht träumte er ja noch?
    Vorsichtig durchquerte er den Raum, wobei er die Tür offen ließ, und ging zum Kamin, um das Bild zu betrachten. Aber sein Blickwinkel war ungünstig.
    Er war unsicher. Von unten sah er nicht gut genug, er war zu klein.
    Also zog er einen ledergepolsterten Stuhl vor den Kamin, stieg hoch und stellte sich auf die Zehenspitzen.
    »Verdammt«, murmelte er.
    Ich hatte recht , dachte er, und ein Schauder lief ihm über den Rücken.
    Der schräge, spitze Gegenstand oben links im Gemälde war nicht etwa Atamantes Drehbolzen. Aus der Nähe betrachtet sah er ganz anders aus, es fehlten das Gewinde und der geränderte Kopf.
    »Es ist der Schiefe Turm von Pisa …«, sagte Otto leise und fuhr mit dem Finger darüber. Dann wandte er seinen Blick ab.
    Wenn das der Turm von Pisa ist , dachte er, während er vom Stuhl herunterstieg, wenn das der Turm von Pisa ist, auf der Piazza dei Miracoli … dann ist der gewundene Schlauch direkt darunter vielleicht …
    »Der Fluss, der Arno?«
    Zeigte das futuristische Bild über dem Kamin etwa die Stadt Pisa? Wie ein Stadtplan?
    Und wenn es ein Stadtplan war? Was genau konnte man dort erkennen?
    Geh du! , dröhnte es in Ottos Kopf.
    »Wohin, wohin soll ich gehen, Opa?«, fragte er sich und fixierte das Gemälde erneut, noch aufmerksamer als zuvor. Vielleicht so genau, wie es noch nie jemand betrachtet hatte, nicht einmal der Conte Liguana.
    Die Mittelpunkte der Zahnräder kamen ihm jetzt wie Plätze vor,

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