Cyboria - Die geheime Stadt
Zisch, der das letzte genommen hatte. Wie viele Dinge gab es wohl, die er immer noch nicht über Cyboria und seine Gründer wusste? Und würde er jemals alles wissen?
Aber war das überhaupt wichtig? War es wirklich wichtig, alles über die mysteriöse Insel zu wissen? Was hatte er davon? Genügte nicht die Tatsache, Cyboria gefunden zu haben und zu wissen, dass es die Neue Stadt gab? War es nicht viel wichtiger, das genialste rote Fahrrad der ganzen Welt zu besitzen?
Fragen über Fragen. Fragen mit komplizierten Antworten. Wahrscheinlich ganz gut für lange Wintertage. Fragen, die Otto im Laufe der Zeit vielleicht vergessen würde.
Galeno nahm eine Handvoll noch grüne Zitronen aus einem Korb, zeigte sie ihm und fragte: »Wie wär’s mit einer selbst gemachten Zitronenlimonade?«
12
Worte in Freiheit
G old.
In seinem Lehnstuhl auf der Galerie des Observatoriums liegend, sah Theo zu, wie die untergehende Sonne die unendliche Wasserfläche des Meeres golden färbte. In diesem goldenen Licht lag etwas Beunruhigendes. Etwas, das ihn mit seinen verbliebenen drei Händen nervös auf die Schreibtischplatte trommeln ließ.
Dieses Gold war ihm noch nie zuvor aufgefallen.
Lag es an der Anwesenheit der beiden Menschen in der Stadt? Nein, dachte er. Das Ende der jahrzehntelangen Einsamkeit freute ihn. Endlich hatte, wenn auch mit unglaublicher Verspätung, Phase zwei begonnen, das Ereignis, auf das er so lange gewartet hatte: die Besiedlung Cyborias. In ein paar Wochen könnte er endlich mit der Produktion von Lumen beginnen, um die alten Batterien wieder aufzuladen. Im Laufe einiger Monate oder Jahre könnten vielleicht sogar andere Roboter wieder ihre Arbeit aufnehmen.
Die beiden Menschen waren also nicht das Problem. Aber was sonst? Vielleicht war es gar kein richtiges Problem, sondern nur eine Bagatelle. Oder ein Wunsch. Das war’s, ein Wunsch.
Die Vorfälle der letzten Tage hatten ihm alles abverlangt. Und sie hatten ihn verändert. Nicht nur der erbitterte Kampf mit der Todesmaschine und die danach notwendige Reparatur, sondern auch die langen Gespräche mit Otto und die unglaubliche Geschichte, wie die drei Menschen mit Galeno auf die Insel gekommen waren.
Er fuhr mit einem Finger über die schwarze Scheibe, die Galeno ihm hiergelassen hatte, die Scheibe, auf der die Erlebnisse von Otto, Medea und Jago dokumentiert waren. Es war nur die chronologische Abfolge, ohne Emotionen und Zwischentöne. Galeno hatte reine Fakten aufgezeichnet, die sich Theo nach seinen eigenen … Vorstellungen ausmalte.
Seine Vorstellungen. Er hatte mehr als achtzig Jahre lang Bücher gelesen und die wichtigsten Passagen zusammengefasst. Er wusste, wie Menschen Erlebnisse dokumentierten: Sie schrieben eine Geschichte. Sie stellten sich etwas vor und wählten die richtigen Worte, um ihre Vorstellung niederzuschreiben. Worte in Freiheit.
Ein Buch. Und auch wenn Bücher schreiben nicht zu seinen Anweisungen gehörte, wollte Theo versuchen, eine Geschichte über Otto, Medea, Jago und Galeno zu schreiben. Und auch über sich. Warum denn nicht? Auch die Geschichte von Theo. Und die von Cyboria. Und die der drei Gründer.
Wer sonst sollte das tun? Nur er kannte alle Geheimnisse der Insel. Alle, auch die unter der Erde verborgenen. Nicht immer erfreuliche Geheimnisse, aber … vielleicht sollte man sie trotzdem lüften. Daraus ein Buch machen.
Ein Buch. Voller Geheimnisse.
Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr war Theo entschlossen, dass er eine schöne Geschichte erzählen wollte. Und er hoffte, dass es auch eine schöne Geschichte für die Leser werden würde. Er dachte, wenn jemand durch sein Buch von der Existenz Cyborias erfahren würde, hätte er vielleicht Lust, eine Reise dorthin zu unternehmen. Und wer weiß? Vielleicht würden dann sogar die Bürger kommen, auf die er so lange gewartet hatte.
Ja, das war es, was zu tun war. Er spürte die Sehnsucht, das Gefühl von Freiheit, obwohl er ein Roboter war. Theo wollte ohne fremde Hilfe ein Buch über Cyboria schreiben. Vielleicht könnte Jago dafür die Illustrationen machen, wenn es einmal fertig war. Ja, das könnte er ihm vorschlagen. Warum eigentlich nicht?
Und dann … und dann könnte man es drucken. Und was dann?
Dann könnte man es jemandem schicken, der es lesen würde.
Es der Welt präsentieren.
Er müsste nur in den Raum gehen, den Otto geöffnet hatte. Dort befand sich die Rohrpost, die Post nicht nur empfangen, sondern auch versenden konnte. Von dort könnte
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