Cyboria - Die geheime Stadt
Kalender war es im Jahr 1939. Unsere Stadt war bereit, neue Bürger aufzunehmen, alles war bis ins letzte Detail geplant, genau wie die Gründer es sich vorgestellt hatten. Die Führer waren instruiert und bereit für ihre Mission. Es gab ein großes Fest, als sie den Zischelin bestiegen, mit dem Auftrag, die Neuigkeit in die ganze Welt zu tragen, zuerst zu unseren Botschaftern, dann zu ausgewählten Menschen, die als zukünftige Bürger von Cyboria in Frage kamen. Aber wenige Monate später wurden die eingehenden Nachrichten aus der Welt von Tag zu Tag schrecklicher.«
»Der Krieg«, flüsterte Otto.
»Der Krieg, ja. Ein neuer Krieg, noch schlimmer als der, dem sich die Gründer fast dreißig Jahre zuvor verweigert hatten …«
»Sie waren vor dem Ersten Weltkrieg geflohen.«
»Und zwar mit großen Schuldgefühlen. Aber jetzt sprachen die eingehenden Informationen wieder von einer dunklen Macht, die sich über ganz Europa ausbreitete. Sie sprachen von dem Bösen, das immer stärker wurde. Und so setzten sich die drei Gründer mit dem Rat der Besten zur Beratung zusammen. Sie diskutierten und diskutierten. Wozu diente ihre Stadt? Die Freie Universität, die Rotunde für die Symphoniekonzerte? Zu welchem Zweck hatten sie die Roboter konstruiert, die die monotonen Arbeiten erledigten, damit die Menschen ihre Gefühle ausleben und weiterentwickeln konnten? Ihre Genialität, ihre Kreativität? Worin lag die Zukunft Cyborias, die erdacht (Erste Phase), erprobt (Zweite Phase) und optimiert (Dritte Phase) werden sollte? Die schlussendlich der Menschheit als Geschenk übergeben werden sollte (Vierte Phase)?
Die Diskussion war hitzig, Otto Folgore Perotti. Einige, wie beispielsweise mein Erbauer, schlugen vor, die bedrohlichen Nachrichten unserer Botschafter einfach zu ignorieren und den Besiedlungsplan in die Realität umzusetzen. Andere dagegen wollten aktiv werden und sich einmischen: Dieses Mal wollten sie kämpfen und sich nicht verstecken. Aber damals waren sie jung gewesen, jung und voller Träume. Und die Bedrohung für die Welt war nicht ganz so groß gewesen.« Theo hielt inne, überlegte und sprach weiter: »Die Situation zog noch ein weiteres Problem nach sich. Wenn es also wirklich richtig war, dieses Mal zu kämpfen, dann auf welcher Seite? Auch in diesem Punkt gingen die Meinungen auseinander, und keines der Argumente konnte alle überzeugen.«
»Und wie haben sie das Problem gelöst?«
»Mit einer Abstimmung. Es wurde mehrheitlich entschieden, die Besiedlungsphase zurückzustellen und alles zu versuchen, um den Krieg zu stoppen.«
»Den Krieg zu stoppen? Und wie wollten sie das machen, bitte schön?«
»Es wurden fünf spezielle ›Todesmaschinen‹ konstruiert. Fünf Kampfroboter, die mit alles vernichtender Kraft und rücksichtsloser Aggressivität ausgestattet waren, das genaue Gegenteil zu allen anderen Robotern, die Zisch bis dato gebaut hatte. Die Kampfroboter wurden in fünf europäische Staaten entsandt: Deutschland, England, Russland, Frankreich und Italien. Die Todesmaschinen sollten den Konflikt an den Wurzeln bekämpfen.«
»Und wie?«
»Sie sollten die Führer dieser Staaten töten. Ohne Führer, so dachten die Gründer, würden keine Befehle mehr gegeben. Ohne Befehle würde es keine Armeen geben und ohne Armeen …«
»Würde es keinen Krieg geben.«
»Richtig, Otto Folgore Perotti. Aber die Todesmaschinen versagten. Im Laufe des Krieges verloren sich ihre Spuren. Und deshalb wurde in Cyboria eine zweite Ratsversammlung einberufen. Einige Bürger wollten Cyboria verlassen, um zu kämpfen, andere wollten bleiben, das Geheimnis der Insel bewahren und ihre Kinder aufziehen. Ihnen war es egal, dass ihre Kinder nicht wussten, was in der Welt vor sich ging; weit weg vom Krieg, so dachten sie, würden sie überleben. Die zweite Versammlung war noch schwieriger als die erste. Trotz aller Bemühungen gab es keine Entscheidung, manche weigerten sich sogar, überhaupt abzustimmen. Das demokratische Fundament der Neuen Stadt geriet ins Wanken. Und deshalb griff man zu drastischen Mitteln, die für Notfallsituationen vorgesehen waren. Artikel 18 der Verfassung Cyborias erlaubte in Notfällen und extremen Gefahrensituationen die Wahl eines Oberkommandierenden mit absoluter Kommandogewalt. Nach seiner Wahl traf er folgende Entscheidungen: Mütter und Väter mussten mitsamt ihren Kindern die Insel verlassen. Niemand von ihnen ist je zurückgekehrt. Alle anderen Menschen hatten die Wahl, in ihre
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