Cyclop
sie, bevor die Ebbe einsetzt.«
»Es wird bald hell sein«, rief sie.
»Um so wichtiger, daß wir schnell ans Ufer kommen und ein Versteck finden.«
»Wie sieht es mit den Haien aus?«
»Die frühstücken nie vor sechs Uhr«, antwortete er ungeduldig. »Los jetzt, keine langen Reden mehr.«
Sie schwammen los, und Pitt war verblüfft, wie gut sich i Jessie an seiner Seite hielt. In dieser Frau steckte eine ungeheure Energie. Sie zeigte keinerlei Ermüdung, während sie mit ruhigen Stößen neben ihm durch die Wogen glitt.
Bisher hatte sie ihm den Grund für diesen überraschenden Ausflug nach Kuba nicht genannt, und Pitt hatte sie nicht gefragt. Er mußte kein Hellseher sein, um zu wissen, daß sie eine sehr klare Vorstellung über ihre Ziele hatte, denn diese Lady war alles andere als verrückt. Was immer sie tat, hatte sehr gute Gründe. Er hätte ihr leicht die Waffe entreißen oder das kleine Schnellboot zum Kentern bringen können, aber er war auch sicher gewesen, daß sie nicht geschossen hätte, falls er die Kursänderung ablehnte.
Die Sache lief wie immer glatt für Pitt. Mitgefangen, mitgehangen. Nur daß er diesmal auch einige persönliche Gefühle einbrachte – nicht Liebe, aber er fühlte sich doch sehr von dieser ungewöhnlichen Frau angezogen. Dazu kam die kaum zu unterdrückende Neugier, was denn nun hinter all diesem steckte. Bisher hatte Pitt noch nie widerstehen können, irgendein Geheimnis zu erkunden. Und außerdem gab es noch die Lockungen des Schatzes von El Dorada. LeBarons Hinweis war spärlich genug, die Statue konnte überall auf Kuba sein. Aber immerhin schwammen sie in die richtige Richtung.
Als der Strand näher kam, tauchte Pitt und kam neben Jessie hoch, die erschrak. Er hatte sie gestreift. Ein großes schwarzes Ungetüm von unten war auf sie zugeschossen, und bis sie merkte, daß es kein Hai war, brach ihr der Schweiß aus.
»Still!« zischte er. »Du alarmierst sonst jede Küstenpatrouille vor uns.«
»O Gott, gut, daß du es bist!« stöhnte sie.
»Ruhig«, murmelte er dicht neben ihrem Ohr. »Stimmen tragen über dem Wasser verdammt weit. Wir lassen uns einen Augenblick treiben und sehen uns den Strand genauer an. Es sind keine fünfzig Meter mehr.«
Sie berührte ihn nur kurz zustimmend mit der Hand. Stumm traten sie Wasser und starrten gemeinsam in die Dämmerung. Vor ihnen lag ein schmaler. Streifen weißer Sand und dahinter der dunkle Schatten eines langgezogenen Buschwaldes. Etwa zwei Meilen zur Rechten sahen sie Scheinwerfer von Autos auf einer Küstenstraße. In größerer Entfernung deutete ein Lichtschein auf eine kleine Hafenstadt.
Minutenlang starrte Pitt in die Dunkelheit hinter der Strandlinie, ohne eine Bewegung zu entdecken. Schließlich winkte er Jessie zu und schwamm weiter. Nach zwanzig Metern berührte sein Fuß den Grund. Er richtete sich auf und stand bis zur Brust im Wasser.
»Du kannst stehen«, rief er leise.
Es wurde einen Moment still, dann flüsterte sie hinter ihm: »Dem Himmel sei Dank, meine Arme fühlen sich an wie Blei.«
»Sobald wir da drüben im Schatten sind, kannst du dich hinlegen und ausruhen. Ich werde die Umgebung erkunden.«
»Sei bitte vorsichtig.«
»Kein Grund zur Sorge«, meinte er und grinste breit. »Man gewöhnt sich an alles. Das ist ja schon der zweite feindliche Strand, an dem ich heute Nacht lande.«
»Bist du immer so ernst?«
»Ganz den Umständen entsprechend. Wie jetzt zum Beispiel. Gib mir die Pistole.«
Sie zögerte. »Ich glaube, ich habe sie verloren.«
»Du glaubst?«
»Als wir ins Wasser sprangen …«
»Du hast sie fallen lassen.«
»Ich hab’ sie fallen lassen«, wiederholte sie mit unschuldiger Stimme.
»Du weißt gar nicht, was für ein Vergnügen es ist, mit dir zusammenzuarbeiten«, meinte Pitt erschöpft.
Die letzten Meter legten sie schweigend zurück. Dann warfen sie sich auf den Strand und blieben bewegungslos liegen. Es rührte sich nichts in der näheren Umgebung. Schließlich sprang Pitt auf, rannte über den Sandstreifen und verschwand in den Schatten.
Jessie bemühte sich, nicht einzuschlafen. Ihr Körper war gefühllos vor Erschöpfung, und sie nahm dankbar wahr, daß sie zu müde war, die Schmerzen, die die vielen Schrammen und blauen Flecken von Glys Foltern verursachten, zu spüren. Sie fühlte überhaupt nichts mehr.
Das sanfte Streicheln der Brandungsausläufer an ihren Füßen beruhigte sie wie ein Sedativum.
Und dann erstarrte sie, ihre Finger bohrten sich in den
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