Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
Prolog
Er hatte die Hand um die seiner Frau gelegt und drückte sie sanft. Lächelnd schaute sie zu ihm auf, den Blick voller Liebe, und nickte aufmunternd. Sie ahnte, wie ihm zumute war, denn es gab nur wenige Dinge, die das legendäre Selbstbewusstsein des Hünen ins Wanken bringen konnten. Die bevorstehende Ankündigung gehörte offenbar genauso dazu, wie jener Tag vor zehn Jahren, als er sie gebeten hatte, seine Gattin zu werden.
Er hatte sich wenig verändert seit damals, abgesehen von den Falten in seinem Gesicht, der silberfarbenen Designer-Brille, die er seit kurzem trug, und dem einst rabenschwarzen, inzwischen von ebenfalls silbern glänzenden Strähnen durchzogenen Haar. Diese äußerlichen Veränderungen schadeten seinem würdevollen Erscheinungsbild keineswegs, war er doch ungeachtet seiner fünfzig Jahre ein stattlicher und überaus gut aussehender Mann, der stets gepflegt und korrekt gekleidet daherkam. Nicht einmal im privaten Kreis erlaubte er sich irgendwelche Nachlässigkeiten, worüber sich seine Familie jedes Mal aufs Neue amüsierte. Selbst wenn er in Gummistiefeln und zerrissenen Jeans in den Ställen schwitzte oder, schwere Bretter auf den Schultern, bei Reparaturen am Haus mit anpackte, blitzte unter all dem Schweiß und Dreck stets der privilegierte, gebildete und distinguierte Sohn aus altem Geschlecht durch.
Die Ehe mit Susanne tat ihm über die Maßen gut. Das versicherte er ihr seit ihrer Heirat immer wieder – mit einem Augenzwinkern. Was ihn nicht unbedingt glaubwürdiger machte.
„Wir … eure mam und ich haben euch etwas mitzuteilen.“
Er räusperte sich , und als er nicht sofort weitersprach, wandte sie ihm den Kopf zu und entdeckte einen merkwürdigen Ausdruck auf seinem Gesicht – zärtlich, aber auch irgendwie reumütig.
„ Wir haben lange dafür gebraucht, das ist wohl wahr, doch jetzt endlich … Es ist ein unglaubliches Wunder, für das wir sehr dankbar sind. Wir werden … ein Kind bekommen.“
Das einsetzende freudige Stimmengewirr , die Jubelrufe und Glückwünsche wurden jäh unterbrochen von dem scharrenden Geräusch eines Stuhls, der über das Parkett gezerrt wurde und polternd umfiel. Gleich darauf stürzte der älteste der drei Söhne aus dem Raum. Die Tür krachte schwer hinter ihm ins Schloss und brachte die Stimmen zum Verstummen.
Es dauerte einige Herzschläge, bis Susanne realisierte, was die Flucht ihres Sohnes zu bedeuten hatte. Mit einem Ruck stand sie auf.
„ Nein, Suse. Lass mich das machen“, versuchte der Graf, seine Gattin zu beruhigen, und zog sie sacht auf den Stuhl zurück. „Es ist besser, wenn ich mit ihm rede.“
Keine rlei Aufregung oder Hektik, hatte der Arzt ihn gewarnt und dabei Susanne besorgt gemustert. Sie war bereits zweiundvierzig, obwohl ihre zarte Gestalt sie wesentlich jünger erscheinen ließ. Doch gerade dieser Umstand und zwei vorangegangene Fehlgeburten waren dem Arzt Anlass genug zur Sorge.
Und er, Matthias Emanuel Clausing, Graf von Sean Garraí , hatte sein Ehrenwort gegeben, bis zum letzten Atemzug das Wohl seiner Familie über alles andere zu stellen.
„Manuel! Warte bitte. Lass uns vernünftig darüber reden.“
„Darüber reden? Wieso?“
Der junge Mann schoss herum, drängte den einen halben Kopf größeren Grafen unvermittelt an die Hauswand und presste ihm den Unterarm gegen den Hals. Vermutlich hätte er ihn sogar erwürgt, wenn sich dieser Feigling nur gewehrt hätte!
Aber nein, das hatte einer wie dieser saubere Herr Graf gar nicht nötig! Der war ja schon immer so verdammt überlegen und souverän gewesen! Bildete sich ein, ein Blick aus seinen veilchenblauen Augen würde genügen, dass jeder seinen Befehlen gehorchte, ohne deren Sinn zu hinterfragen.
„ Mit schönen Worten erreichst du bei mir nicht das Geringste, du elender Mistkerl!“, schrie Manuel seinen Adoptivvater an und kämpfte mühsam den Wunsch nieder, ihm ins Gesicht zu schlagen. „Willst du sie umbringen? Jetzt auch noch sie? Reicht es nicht, dass du bereits meinen Vater auf dem Gewissen hast?“
Sprachlos angesichts dieser haltlosen Vorwürfe schüttelte Clausing den Kopf. Er öffnete den Mund für eine Erwiderung, aber Manuel kam ihm zuvor, indem er brüllte: „Die Ärzte haben ihr davon abgeraten, mehr als zwei Kinder auszutragen. Sie haben vor ernsten Komplikationen gewarnt. Hast du das vergessen? Interessiert dich das überhaupt, du selbstsüchtiger, aufgeblasener Pfau? Dir geht es doch lediglich darum, ein
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