Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Gedanken sofort Flügel verleiht. Sie fliegen nach Amerika, wo einem beim Tanken, sobald man den Rüssel ins Loch hängt, die Zapfsäulen lautstark anplärren und eine Werbebotschaft nach der anderen raushauen. Keine Chance sich zu wehren, erst wenn der Tank voll ist, gibt auch die Säule Ruhe.
Hinter mir lichthupt einer, ich konzentriere mich aufs Tanken. Die Zahlen rauschen über das Display.Am Ende sind es achtundachtzig Euro. Ich zahle, steige ins Auto, fahre ein paar Meter, stoppe, weil ich noch das Verdeck runterklappen will.
Hinter mir wird ungeduldig gehupt. Nein, ich ärgere mich nicht. Bedauere stattdessen diesen Menschen, den das Warten nervt, weil er nicht weiß, dass man statt zu warten auch atmen kann. Ich fahre ein Stück vorwärts, damit er an die Zapfsäule kommt, lande versehentlich mitten auf einem Fahrradweg, was einen entgegenkommenden Fahrradfahrer zur Vollbremsung zwingt. Bringt ihn nicht aus der Fassung, im Gegenteil. Er lächelt mich freundlich an, und ich schicke ihm ein Lachen zurück, bei dem ich selbst merke, wie umwerfend, wie gewinnend es ist.
Ich kann förmlich spüren, wie es auf seinem Gesicht auftrifft und sich widerspiegelt. Ich bin begeistert, von mir, der Welt, dem Augenblick. Jetzt läuft’s, denke ich. Ich habe was kapiert.
Eine halbe Minute danach läuft nichts mehr, das Auto schüttelt sich noch mal kurz, der Motor stottert, schafft noch knappe fünfzig Meter, dann ist es aus. Stille und Stillstand. Das Auto mausetot. Und ich weiß sofort, was falsch gelaufen ist. Super statt Diesel. Während ich vor der Zapfsäule innehielt, die Gedanken nach Amerika flogen und ich mit Atmen beschäftigt war, habe ich einen Dieselmotor mit Superbenzin versorgt.
In Rekordgeschwindigkeit ist meine Welt eine andere. Ich bin eine Frau, die mit fettigen Haaren und fleckigen Jeans vorhin aus dem Haus sprintete, um mal eben Pakete zur Post und den Wagen zur Tankstelle zu bringen. Obendrein wird es gerade Frühling, überraschend schnell ist die Temperatur auf fünfundzwanzig Grad hochgerutscht, ich trage einen zu dicken Pullover, auch noch schwarz, spüre die unerwartete Wärme hautnah.
Der Wagen ist mitten auf der Straße stehen geblieben. Motorschaden. Ich versuche wider besseres Wissen, ihn anzuschieben. Genauso gut hätte ich versuchen können, einen Elefanten zu schultern. Jetzt haben alle Autos hinter mir gesehen, dass ich allein nichts bewegen kann. Statt wie blöd zu hupen, wird gleich einer kommen, um mir zu helfen. Nichts passiert. Ich weiß, dass es völlig schwachsinnig ist, aber ich denke, wäre ich jünger, dünner, attraktiver … Aus einem am Straßenrand geparkten Wagen glotzt mich ein Mann teilnahmslos an. Seine Frau unterstützt ihn dabei. Ich kann auch anders. Ich winke ihm heftig, die Aufforderung ist klar. Steig aus, Mann, hilf mir schieben. Er sieht erst zu der Frau auf dem Beifahrersitz. Die guckt, als ginge sie das nichts an. Was ja nicht ganz falsch ist. Ich wedele noch mal heftig mit beiden Armen, schicke ein lippensynchrones BITTE hinterher.
Schließlich quält er sich aus seinem Auto, ich frage ihn, ob er mir helfen könne, das Auto an den Bordstein zu schieben, damit die Straße frei ist. Wir schieben beide, geht ganz gut, aber dann auch wieder nicht. Denn lenken und schieben gleichzeitig kriege ich nicht hin, also hüpfe ich ins Auto, mit einem ziemlich unangenehmen Gefühl. Ich weiß nicht, was mein Auto wiegt, aber ich weiß, was ich wiege. Und das ist mir doch gewaltig peinlich, dass der arme Mann jetzt noch neunzig Kilo Verschiebemasse obendrauf bekommt. Da muss er durch, das Auto steht irgendwann tatsächlich an der Bordsteinkante, ziemlich schräg, aber egal. Ich bedanke mich, er bewegt keinen Gesichtsmuskel. Ich rufe den ADAC an. Und habe jetzt sehr viel Zeit zum Atmen. Der Mechaniker kommt frühestens in einer Stunde. Nicht warten. Atmen. Zwischendurch habe ich Angst, ich könnte vielleicht hyperventilieren, weil ich es mit dem Atmen vor Aufregung übertreibe.
Warum hatte ich noch vor knapp einer Stunde das sichere Gefühl, die Welt sei rosarot und ich könne sie aus den Angeln heben? Zu früh gefreut?
Nicht denken. Weiteratmen.
27
B in mal wieder im Reformhaus gewesen. Diesmal wegen Aprikosenkernöl, soll gut für die Haut sein. Die alternde Haut, versteht sich. Was auch gut läuft, sagt der Verkäufer unaufgefordert, sei Lindenblütencreme, die benutze seine Großtante praktisch seit ihrer Geburt, sie bewirke Wunder. Die Großtante sei
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