Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
machen ist feige und ich bin schlichtweg zu feige, zuzugeben, wie spannend ich das finde. Sogenannte spirituelle Begegnungen, Rückführungen in die Leben davor, wenn es sie denn gab. Gespräche mit Verstorbenen, wenn sie denn möglich sind. Ich bin für vieles offen, das geht von Astrologie über Handlinien, Kartenlegen bis hin zur Kaffeesatzleserei aus einer bodenlosen Tasse.
Bottomless cup heißt eine Wahrsagertruppe, bei der ich in meiner Amerikazeit die Zukunft erfragt habe. Mal eben, zwischen Frühstück und Mittagessen.
Die Kaffeesatzleser sitzen in New Orleans, man ruft an, wird freundlich begrüßt (»Hi honey, how are you?«), tauscht ein paar belanglose Höflichkeiten aus, stellt fest, dass es in San Francisco mal wieder nebliger ist als in New Orleans. Der freundliche Mann am Telefon kennt nichts außer meinem Vornamen, mit Christine lässt sich zumindest in Richtung Religion ein wenig spekulieren, er tastet sich vorsichtig heran. Sieht einen wachen Geist, viel Kreativität, Begabung (wofür, lässt er erst mal weg). Mit derart ungefähren Schmeicheleien könnte er im Prinzip auch einen Bäcker umgarnen, der just an diesem Morgen mal ein neues Rezept für die ewig gleichen Muffins ausprobiert hat.
Während er im Kaffeesatz rührt, mal an dieser Stelle, mal an jener, bin ich sehr konzentriert, ich will ihn sofort unterbrechen, wenn mir irgendetwas völlig schräg scheint. Aber in allem, was er sagt, scheint ein Körnchen Wahrheit enthalten, einen richtigen Versenker landet er nicht.
Plötzlich wird er still, sagt »hm« und einmal »oh«, er bittet um ein paar Augenblicke Geduld und dann höre ich ein überraschtes »Wow« am anderen Ende der Leitung in New Orleans.
»Ich sehe ein Buch, Moment, es ist noch ein bisschen unscharf, doch, es ist ein Buch, ganz deutlich, ich sehe ein Buch.«
Die Vorstellung scheint ihm zu gefallen.
Das Buch rührt sich auch in den nächsten Minuten nicht von der Stelle, im Gegenteil, es tauchen noch ein paar mehr auf, deshalb ist die Sache für ihn sonnenklar. Ich werde in Zukunft etwas mit Büchern zu tun haben. Schreiben, verlegen, empfehlen, drucken, da kann er sich nicht festlegen, bei meiner Kreativitätsei es eine naheliegende Möglichkeit, eigene Bücher zu schreiben. Er persönlich fände das großartig und wünsche mir viel Erfolg. Mit der nächsten Telefonrechnung überweise ich 34 Dollar an eine bodenlose Tasse.
Das war Amerika 1994, ich fand es amüsant, was so alles an Visionen nach oben steigt, wenn einer nur lange genug symbolisch in einer Kaffeetasse rührt. An Bücherschreiben hatte ich nie einen Gedanken verschwendet, ich hielt das damals für gänzlich ausgeschlossen.
Ich hatte die Episode schon lange aus meinem Gedächtnis gelöscht, aber hier bei Jesus, inmitten der unsichtbaren Gestalten aus der geistigen Welt, erinnere ich mich wieder an jenen holprigen Versuch, der Zukunft in die Karten zu gucken.
Mit Rückführung wird es aber erst mal nichts. Jesus weist mich freundlich darauf hin, dass ich Anfänger bin, wir dürfen nichts überstürzen, in der ersten Klasse fängt man ja auch nicht gleich mit Bruchrechnen an. Zur Probe erst mal eine kleine Abnehmmeditation. Er fragt nach meiner Wunschkonfektionsgröße. Auf der Zunge liegt mir 36, aber die geballte Macht der anwesenden geistigen Welt fordert mir Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit ab. Ich bleibe Realist und behaupte schlankweg, Größe 40 wäre richtig gut. Er streckt seinen Zeigefinger hoch in die Luft, ich soll mich auf diesen Finger konzentrieren und dazu beständig nur 40 murmeln. Ich fixiere den Finger, der an immer anderen Stellen meines Gesichtsfeldes auftaucht, während ich mantramäßig meine Wunschgröße vor mich hinnuschele. Ich glaube schon fast selbst dran, als er den Finger in seiner Faust verschwinden lässt und das Experiment vorbei ist. Auf einem Zettel, der einen langen Strich aufweist, an dem Kleidergrößen von 46 bis 34 markiert sind, soll ich die just in diesem Moment von mir gefühlte Kleidergröße markieren. Ich gehe intuitiv auf die 40, na bitte.
Jetzt bin ich so weit vorbereitet, dass mich nichts mehr beengt, Jesus schlägt dennoch vor, die Rückführung erst bei unserer nächsten Verabredung anzugehen, zunächst täte mir eine spirituelle Trance gut. Ich habe keine Ahnung, was das ist. Macht aber auch nichts. Was an Jesus liegt, der sympathisch, fröhlich, offen und zu großen Teilen von dieser Welt zu sein scheint.
Ich steige auf eine Liege,
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