Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
Vom Netzwerk:
allerdings erst erlaubt, wenn ihre männlichen Kollegen keine weiteren mehr hatten.
    »Das Alphatierchen des Nachrichtenfernsehens«, hat die New York Times sie mal genannt. Die Alphatiere, die Männermoderatorenriege, fanden eine Frau an ihrer Seite ziemlich überflüssig, haben versucht, sie beiseitezuschieben, so gut es eben ging. Weil sich die Walters aber nichts gefallen lassen wollte, beschloss ihr Moderationskollege Harry Reasoner, während der Sendung und vor laufender Kamera einfach nicht mehr mit ihr zu reden. Bis heute, sagt Barbara Walters, hat sie das Gefühl nicht vergessen, in ein Studio zu gehen, wo keiner mit ihr sprach. Die Einzige, die noch mit ihr redete, war ihre Stylistin. Wenn Walters in der Maske weinte, sagte die nur trocken: »Hör auf zu heulen, du verwischst das Make-up.« Eines Tages bekam sie ein Telegramm, in dem stand: »Lass dich von den Mistkerlen nicht kleinkriegen.« Absender: John Wayne. Als die Walters durch geschicktes Verhandeln schließlich irgendwann kurzzeitig mehr verdiente als der Fernsehtyp, der sie anschwieg, wechselte das Alphatier entnervt den Sender, das siegreiche Alphatierchen blieb. Noch fast vierzig Jahre. So viel zum Thema starke Frauen in den Medien.
    Mir hat eine große deutsche Volkspartei einen Brief geschickt, mich in wohlgesetzten Worten darum gebeten, ich möge mich als ältere Fernsehfrau in der Öffentlichkeit für ein positiveres Altenbild einsetzen. Sehr gern, geht aber nur, solange ich mich als ältere Fernsehfrau noch vor eine Kamera stellen darf.
     
    Wer unfreiwillig Richtung Ausgang gedrängt wird, schnitzt sich meist wohlfeile Ausreden. Es wird notgelogen: Man freue sich auf mehr Zeit, habe schon viele Pläne. Und als krönender Abschluss das Poesiealbum-Sätzchen: Wenn’s am schönsten ist, soll man gehen. Phrasen, damit es in der Öffentlichkeit nicht so rumort, wenn man gegangen wird. Und falls man mich mit 79 oder 81 noch mal nach vorn schiebt, weil irgendein Jubiläum ansteht oder weil man den Jungen, die lieber interneten als fernzusehen, mal zeigen will, wie Fernsehdinos aussehen, dann könnte ich den Klassiker raushauen: »Die Arbeit? Ach, vergessen Sie es. Die vermisse ich kein bisschen. Es gibt so viel Schöneres auf der Welt.«
     
    Ich bin ganz gut im Notlügen, täusche dringende Geschäfte vor, wenn ich lieber zu Hause auf der Couch rumlümmeln will, statt mit einem Glas in der Hand bei einem Medienempfang rumzustehen. Konfrontiert mit einer Auswechslung aus Altersgründen aber kann ich mir nur schwer vorstellen, mit einem fröhlichen »Ach,wissen Sie, ich wollte schon so lange mal was anderes machen. Nämlich gar nichts. Nur Zeit für mich haben« tatsächlich auch überzeugend zu wirken.
     
    Mir passiert das, was vielen anderen Fernsehfrauen vor mir passiert ist. Dennoch fühlt es sich so an, als sei ich die Erste, die sanft aus den Fernsehkulissen geschoben wird.
    Mir kommen jene Sprüche in den Sinn, die ich auf Lager habe, wenn andere einen Einschnitt in ihrem Leben fürchten müssen:
    »Es kann nur etwas Neues kommen, wenn etwas Altes geht.« Oder jene Weisheit des französischen Schriftstellers André Gide, die ich wie ein Wanderprediger auf Hunderten von Veranstaltungen mit großer Überzeugung vorgetragen habe: »Man kann keine neuen Länder entdecken, ohne dabei das Ufer für längere Zeit aus den Augen zu verlieren.«
    Dabei sollte ich wirklich Urvertrauen haben wie ein Baby. In den vielen schwierigen Lagen meines Lebens habe ich nämlich genau das auch erfahren. Dass man erst mal die Orientierung verlieren kann, bevor man weiß, hier geht’s lang.
    Zur letzten Sendung, der sicher schwersten, komme ich einfach nicht, das habe ich schon lange beschlossen. Und wenn, dann nur in Gummistiefeln, weil ich das Studio mit meinen Tränen unter Wasser setzen werde. Selbst wenn die nur von einem weinenden Auge produziert werden. Das andere, das lachende, peilt schon mal vorsichtig die Zukunft an.

     

    »Kein Mut ohne Angst«, steht auf der Karte, die ich, weil ich mal wieder abnehmen wollte, im Reformhaus zusammen mit der Shitakecreme, gekauft habe. Der Spruch hängt schon Jahre an meinem Rechner, keine Ahnung, warum ausgerechnet da. Ich nehme ihn selten wirklich wahr. Dabei ist die Karte auffällig, weil ordentlich kitschig. Ein mickriger kleiner Fels, über den sich krachend die Brandung hermacht. Es sieht aus, als habe er sich mutig nach vorn gewagt, sich dem Meer, der drohenden Gefahr entgegengestemmt. Mit dem Mutterfelsen,

Weitere Kostenlose Bücher