Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
der sich in sicherer Entfernung als veritable Klippe ans Land lehnt, verbindet ihn so gut wie nichts mehr.
Kein Mut ohne Angst, na ja, hängt insgesamt ein bisschen schief, das (Sprach-)Bild. Der kleine Felsen, der mutig ist, auch wenn er ein bisschen Angst vor den großen Wellen hat. Uff.
Den Satz aber finde ich gut.
Habe ich Angst, mich nach vorn zu wagen?
Bin ich mutig genug, es zu tun?
Deutlich zu sagen, dass ich mit meinen 65 Jahren – oder trotz meiner 65 – nicht aufhören möchte?
Dass ich eine Sendung weitermachen will, die mir großes Vergnügen bereitet und mich immer wieder und immer noch überraschend herausfordert?
Immer dann, wenn man schon denkt, jetzt läuft es wie von selbst, läuft eben völlig unerwartet gar nichts mehr. Sitzt einem statt des angekündigten sehr pflegeleichten Promis der komplett sperrige Kommunikationsmuffel gegenüber, bei dem es mehr als Mühe macht, ihn in Redelaune zu versetzen. Und noch anstrengender wird es, wenn man sich selbst im Wege steht. Einen grottenschlechten Tag erwischt, völlig nervige, uninspirierte Gespräche anzettelt, bei denen der Gast, wäre er genauso schlecht drauf wie die Moderatorin, jede einzelne Frage mit einem spröden Ja oder Nein abbürsten könnte.
Dann geht man nach Hause und der alte Kritikerfreund hat absolutes Oberwasser, liegt einem beständig in den Ohren mit seinem »Du kannst es eben doch nicht«. Solche Sendungen gibt es auch. In der Mehrzahl aber gibt es jene, bei denen die Arbeit zum Vergnügen wird. Wo alles stimmt, man am Ende des Abends beseelt nach Hause geht und einen der Erfolg durch den nächsten Tag trägt.
Brauche ich Mut, um die Verantwortlichen zu fragen, was mit mir und meiner Arbeit nicht mehr in Ordnung ist? Habe ich Angst, das Unangenehme zu hören? Dass es nicht nur nicht mehr gut genug ist, was ich als Journalistin mache, sondern auch nicht mehr gut genug aussieht? Dass es für einen großen Sender, der um die jungen Zuschauer wirbt, unzumutbar ist, eine über Sechzigjährige vor der Kamera zu beschäftigen?
Interessantes Wort: unzu-mutbar.
Bar jeden Mutes?
Ein Sender, der nicht den Mut aufbringt, sich an die Seite einer älteren Moderatorin zu stellen? Braucht das wirklich Mut?
Ist es mutig zu sagen: »Hallo, Leute, alle mal herhören. Alle Sender wollen junge Zuschauer. Wir wollen das auch. Aber das ist kein Grund, dass die Älteren gänzlich aus dem Programm verschwinden. In ein paar Jahren wird »Zimmer frei« sein zwanzigjähriges Bestehen feiern. Zwanzig Jahre die etwas andere Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen. Unsere Zuschauer sind mit »Zimmer frei« und den Moderatoren älter geworden, junge sind dazugekommen. Beim Jubiläum im Sommer 2016 ist unsere Moderatorin fast 68. Wir sind sicher, dass sie auch dann noch ganz gut hochkommt. Könnte sein, dass es ein paar Schneckensalattransportspiele weniger geben wird, aber unseren Autoren fällt sicher was ebenbürtig Fröhliches ein. Christine Westermann arbeitet seit mehr als dreißig Jahren für den WDR , sie ist ein Gesicht des Senders, sie hat ihn mitgeprägt, genauso wie es die anderen, die jungen Journalisten in den nächsten Jahrzehnten tun werden. Wir haben uns für eine klare Linie entschieden. Nicht Jung gegen Alt, sondern Jung und Alt gemeinsam. Das ist nicht mal mutig, das ist richtig.
Ich danke Ihnen.«
Das wäre doch mal ’ne Ansage.
Natürlich würde kein Programmverantwortlicher dieses Statement so unschuldig offen formulieren, er würde es eloquenter, ausgefeilter, mit Zahlen aus der Marktforschung unterfüttert, sich dabei womöglich in sperrigem Mediendeutsch verheddernd vortragen, aber egal. Rein theoretisch könnte es so gehen. Und praktisch? Würde er dem Kern der Botschaft überhaupt zustimmen? Wollen? Dürfen? Der Botschaft, die da lautet: Alt geht bei uns auch.
Ich schnappe mir meinen Mut und das bisschen Angst, das dazugehört, erinnere mich daran, dass Klarheit und Glaubwürdigkeit zu meinen Stärken gehören, und bitte den Programmchef um ein Gespräch. Als es so weit ist, bin ich fast entspannt, denn er hört zu, fragtklug nach, ist zugewandt, offen für Vorschläge, und bittet schließlich um Bedenkzeit.
Und was passiert? Etwas Unverhofftes, ein kleines Wunder. Als er zwei Tage später anruft, regnet es Sterntaler: in Form von Anerkennung und Wertschätzung. Für die Sendung und ihre Moderatoren. Der kaum verhüllte Fingerzeig, die Moderation freiwillig abzugeben, bevor der Sender sich dazu
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