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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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entschließen muss, eine Fünfundsechzigjährige aus Altersgründen aus dem Programm zu nehmen, ist vom Tisch.
    Im Sommer 2016 wird »Zimmer frei« zwanzig Jahre alt. Zum Jubiläum wird es ein großes Fest geben. Mit zwei Moderatoren, von denen der eine dann fast 60 Jahre alt ist und die andere fast 68.
     
    Für eine Fernsehsendung sind zwanzig Jahre übrigens ein ungewöhnlich hohes Alter.

25
    D er Dirigent Pierre Monteux war 38 Jahre alt, als er über Nacht weltberühmt wurde. Im Mai 1913 hatte in Paris »Le sacre du Printemps« Premiere, ein Ballett, zu dem Igor Strawinsky die Musik geschrieben hatte, Monteux war der Dirigent. Das Pariser Publikum war ungnädig, fing schon nach wenigen Minuten an zu pfeifen, laut zu lachen, zu buhen, zu johlen und war auch nicht gewillt, damit aufzuhören. Die Premiere schien zu kippen, der Abbruch drohte. Pierre Monteux ließ sich nicht beirren, blieb völlig ruhig, hatte sein Orchester perfekt im Griff und brachte trotz Riesentumult das Stück mit heiterer Gelassenheit zu seinem vorgesehenen Ende. Fortan galt Monteux als einer der Großen seines Fachs, war in renommierten Konzerthäusern weltweit ein gefragter Mann.
    Der Künstler war eher klein gewachsen, und als er älter wurde und vielleicht deswegen noch ein Stückchen seiner ursprünglichen Länge verloren hatte, schlief er in den Konzertpausen schon mal gern in der Vertiefung seines Kontrabasses. Dort in die Mulde geschmiegt, ruhte er sich aus, er scheute den langen Weg vom Podium in die Künstlergarderobe und zurück.
    Monteux war zeitlebens ein quirliger, vergnügter, arbeitsverrückter Mann. Als er 85 war, bot man ihm an einem bekannten Opernhaus noch einmal einenVertrag über ein zeitlich befristetes Dirigat an. Bei den Verhandlungen verlangte Monteux einen Zehn-Jahres-Vertrag.
    »Zehn Jahre?«, fragte die Direktion entgeistert zurück.
    »Ja«, sagte der Dirigent unbeeindruckt, zwanzig Jahre seien ihm zu viel. So lange wolle er sich nun wirklich mit 85 nicht mehr binden.
    Es geht noch was. Immer.

26
    N imm den Augenblick wahr. Klingt abgedroschen, ich ahne schon, wie solche Zeilen von irgendwelchen Kritikern zerpflückt werden, die zu jeder Tages- und Nachtzeit genau wissen, wo es im Leben langgehen muss. Mit Innehalten und die Aufmerksamkeit auf den Moment lenken ist es ganz sicher nicht getan. Nicht bei ihnen. Mit so einem Firlefanz braucht man ihnen gar nicht erst zu kommen. Woher ich das weiß? Weil ich selbst zu diesen Leuten gehörte, die gesagt haben: »Hör mir auf mit Meditation, mit diesem fernöstlichen Getue. Innehalten, Atmen, Vogelgezwitscher, sonst noch was?«
    Und jetzt habe ich die Seiten gewechselt und finde es großartig.
    Innehalten.
    Das Finanzamt will ein gefühltes Vermögen von mir zurückhaben und ich sitze da und bleibe ruhig.
    Was ist mit dem Hier und Jetzt nicht in Ordnung? Alles ist in Ordnung. Ich sitze auf dem Balkon, habe die ersten Frühlingssonnenstrahlen im Gesicht, rieche den Flieder, höre die Amsel. Finanzamt? Steuerrückzahlung? Nicht hier und jetzt. Alles zu seiner Zeit. Und die ist garantiert erst später.
    Es funktioniert. Sehr gut sogar. Ich werde allerdings zu einer Gefahr im Straßenverkehr. Ich stehe samt Autovor einer Ampel. Ich warte nicht, ich atme. Nutze den Moment, halte inne. Gucke auf das Rot der Ampel, ignoriere die Gedanken, die reinkommen, rutsche in meine eigene Stille. Geht sekundenlang wie von selbst. Es sind die Ohren, die einen dringenden Notruf absetzen. Hupkonzert, Innehalten einstellen, weiterfahren.
    Ich atme mich durch den Tag, es geht mir gut. Überraschend gut.
    Stehe in der Autoschlange vor einer Tankstelle. Nicht warten, atmen. Ich sehe eine etwas unbeholfene Tankstellenhilfe, die den Eindruck macht, als wisse sie nicht, wo es langgehen soll, wenn sich der Chef gleich in die Mittagspause verabschiedet. Vielleicht würde sie ihn gern begleiten. Denke ich, obwohl ich nicht denken möchte, so einen Unsinn schon mal gleich gar nicht. Nutzt nichts, ich werde weiter gedacht. Wenn jetzt was Unerwartetes passierte, der Wagen nicht anspringen würde, weil die Batterie streikt?
    Wer hilft? Die verhuschte Angestellte? Würde die Schlange noch länger werden? Während ich gedacht werde, fragt sich ein kleiner, mutmaßlich vernünftiger Teil meines Hirns, warum ich mir einen solchen Blödsinn zusammenfantasiere. Ich konzentriere mich wieder aufs Wahrnehmen, gucke mir die Zapfsäulen an, was für eine interessante Konstruktion. Eine Wahrnehmung, die meinen

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