Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
jetzt schon fast 80, sehe aber aus wie 64. Na bitte, sechzehn Jahre einfach weggecremt. Ich verlasse den Laden mit Lindenblüten und Aprikosen. Und wieder mal mit einer Karte. Die Bildbeschreibung erspare ich mir, das Motiv ist unsäglich. Der Spruch aber hat mir gefallen. »Ist uralt«, mäkelt eine Freundin. Ja und?
Für mich ist er neu.
Falls mich mal wieder jemand in einem Interview nach meinem Lebensmotto fragt – und damit kann man in meinem Alter so sicher rechnen wie mit einem Amen nach dem Vaterunser –, scheint der Reformhausspruch erst mal ganz passend:
»Es geht im Leben nicht darum, Stürme zu überstehen, sondern zu lernen, wie man im Regen tanzt.«
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D er heilige Pater Piu steht eingeklemmt zwischen einer halb leeren Flasche Mineralwasser und einem Verlängerungskabel im Regal, neben ihm hockt ein bronzefarbener Buddha windschief auf seinem Sockel, wird von einem Schälchen mit leicht eingedellten Apfelsinen gestützt. Die Muttergottes lugt in dreifacher Ausführung aus einem Bilderrahmen vorsichtig hinter einem CD -Player hervor, über dem ganzen Ensemble baumelt eine Traumfeder. Sieht so aus, als sei die ziemlich originell zusammengewürfelte neue Dreifaltigkeit samt Albtraumabfangjäger für den Bewohner des Hauses von Bedeutung.
Der Bewohner des Hauses ist Jesus, nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Original. Dieser Jesus ist in Spanien geboren, sein Vorname ist dort so häufig, wie Gottlob bei uns selten geworden ist. Jesus kann Sachen, die andere Menschen nicht können und die die meisten Leute für kompletten Humbug halten. Jesus sagt, er könne mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Oder die Lebenden an den Anfang ihres Lebens wahlweise in die Leben, die schon hinter ihnen liegen, zurückführen.
Bei »Zimmer frei« war einmal eine Schauspielerin zu Gast, die überzeugt davon war, in einem früheren Leben zu einem Hunnenstamm gehört zu haben. Theoretisch nicht abwegig, wenn man ihre Erscheinung sah. Ein eher dunkler Typ, große schwarze Augen, das Gesicht schön und ungewohnt fremd zugleich.
Völlig absurd, den Gedanken an ein früheres Leben überhaupt für möglich zu halten? Ja, vielleicht. Aber auch eine durchaus verlockende Option, dem nachzugehen, wenn man, wie ich, einen leichten Hang zum Übersinnlichen gepaart mit einer Menge Fantasie und Neugier hat. Als die Schauspielerin Details aus ihrer Rückführungssitzung erzählte, war sie auf einem Pferd reitend wieder mittendrin im Schlachtgetümmel, ein Hunne, der mordend und brandschatzend durch die Dörfer zog. Das Gespräch erzeugte Gänsehautatmosphäre, noch beim Erzählen merkte man ihr die Faszination an, die die Rückführung bei ihr ausgelöst hatte. Wir unterhielten uns später beim Bier noch miteinander, zum Abschied gab sie mir die Telefonnummer einer Rückführerin aus Berlin.
Ich war erst wild entschlossen, später habe ich noch hin und wieder mal daran gedacht, bin am Ende im aktuellen Leben geblieben, das schien mir aufregend genug.
Als ich fürs Fernsehen ins Kloster ging, hat eine Kollegin für dieselbe Fernsehreihe eine Sitzung bei einem spirituellen Heiler gemacht. Sie, die keiner Kirche angehört, für die Gott eine Erfindung der anderen ist, die an nichts glaubt außer an das Leben, das wir jetzt haben, nichts davor und nichts danach. Sie, die sehr geerdet und fröhlich ist und deshalb bei dem Vorschlag, ihren toten Schwiegervater zu treffen, der eine wichtigeRolle in ihrem Leben spielte, laut gelacht und heftig den Kopf geschüttelt hat. Alles Quatsch, undenkbar. Sie ist also mit größtmöglicher Skepsis in dieses Abenteuer gegangen. Als sie verweint aus der Sitzung kam, brachte sie nur ein »unglaublich« heraus. Sie konnte und wollte es nicht glauben, dass sie in diesen anderthalb Stunden tatsächlich ihren toten Schwiegervater gesehen und mit ihm auch irgendwie kommuniziert hatte.
Jesus, der spanische, war damals Kontaktmann ins Jenseits. Jesus, in dessen Sitzungszimmer unterm Dach ich stehe, um auch mal mit jenen da drüben ins Gespräch zu kommen. Teile der geistigen Welt, die mich bei meiner ersten Stunde unterstützen wollen, sind wohl schon da, als ich den Raum betrete. Jesus fragt, ob ich ihre Anwesenheit spüre. Ich spüre nichts, aber ich möchte es gern, gebe mir Mühe, und der Wunsch ist der Vater des Spürens. Ich spüre was. Unter dem Dach bei Jesus ist es erheblich wärmer als im Erdgeschoss. Was an der starken geistigen Aura der Ehemaligen liegen könnte.
Sich lustig zu
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