Da hilft nur noch beten
sie an. «Man schreit doch als Mutter, wenn einem plötzlich das Kind…! Nach der Polizei, um Hilfe, damit die anderen…?»
Jessica richtete sich auf, und ihre Augen erschienen ihm so tot und leer wie die der Nofretete. «Die Polizei, das konnte ich doch nicht…»
«Warum denn nicht?»
Corzelius wehrte ihn ab. «Das tut doch nichts zur Sache. Weiter, Jessi…!»
«Ja, dann bin ich zu Frau Kudernatsch, aber die war nicht da. In der Wohnung auch keiner. Ihr nicht da, ich ganz alleine…» Sie war zusammengebrochen, hatte sich zu ihrem Bett hingeschleppt, beim Gedanken an Yemayá («… der Mann, der mich an der Gedächtniskirche angesprochen hatte, dieser eklige… Er wird sie quälen und…») war sie hochgefahren, hatte zwei Valium geschluckt und war wieder auf die Straße gestürzt, ihr Kind zu suchen. «Ich wollte in die Schlüterstraße zu Tatjana… Nur mal mit einem drüber sprechen und damit sie mir beim Suchen hilft… Ich weiß, ich sollte nicht, aber…»
«Nein, mach dir bloß keine Vorwürfe weiter, Jessi… Wir kriegen das schon alles wieder…» Er zog sie an sich, streichelte ihr Rücken und Hals, küßte ihr Haar.
«…an der Post bin ich wohl bei Rot über die Ampel und dann angefahren worden… Jedenfalls bin ich hier im Krankenhaus wieder zu mir gekommen. Vielleicht war’s auch mehr der Kreislauf, daß ich da vor dem Auto hingefallen bin, denn Verletzungen hab ich ja keine weiter…»
«Willst du denn noch hierbleiben…?»
«Nein, ‘s muß doch einer zu Hause sein, wenn sie anrufen.»
Corzelius verstand nicht, was sie meinte. «Wer soll’n da anrufen…?»
«… mit dem Lösegeld!»
«Achso, ja…»
Sie schluchzte auf und schrie: «Aber ich will nicht nach Hause! Wenn ich… mayá nicht dann… Ich halt das nicht aus! Ich spring aus’m Fenster, ich…!»
Corzelius riß sie hoch und schüttelte sie. «Jessi, du darfst jetzt nicht…! Wenn wir das Kind wiederhaben und du dann…!»
Jessica sprang auf und riß ihn mit zum Empfangstresen, bat ihn, ihre Entlassung in die Wege zu leiten.
Als das erledigt war, umständlich genug, fuhren sie mit einer schnell gecharterten Taxe zum Ludwigkirchplatz hinauf, und während Mannhardt kurz auf der Toilette war, fragte Jessica Corzelius, ob man ihn nicht besser in alles einweihen sollte; er als altgedienter Kripomann sei ja doch im Augenblick die einzige Hoffnung, die sie noch hätten. «Unmöglich, daß wir die richtige Polizei da einschalten, dann fliegt doch alles auf mit Wuthenow.» Sie hatte sich wieder insoweit gefangen, daß sie ihre Gedanken in präzise Sätze fassen konnte, und betonte mehrmals, wie sehr sie Mannhardt jetzt brauchten, hatte ein wahnsinnig großes und sicherlich überzogenes Vertrauen in seine Möglichkeiten und Kräfte, sah ihn als Vaterfigur, als einen, der alles wußte, alles konnte, alles durfte. Zum Schreibtisch gehen, sich auf den Schoß setzen, ankuscheln und sagen: Du, Papa, meine Puppe ist weg, kannst du mir mal suchen helfen.
Corzelius hatte Mühe, ihr dabei zu folgen, war doch Mannhardt für ihn zwar ein guter Freund, aber selber hilfsbedürftig, gerade eben noch der Psychiatrie entronnen, vom Fronteinsatz hier in Berlin befreit und der Etappe Bramme überstellt; morsche Eiche und absolut nichts, was imstande war, andern Halt zu geben. Totaler Quatsch, auf Mannhardt zu setzen, sollte sie lieber 110 anrufen und all die Chancen nutzen, die der große Apparat ihr bot. Er redete auf sie ein, er redete ihr zu, doch alles umsonst.
Schließlich schrie er sie an, was denn nun wichtiger sei: Yemayás Leben oder die Karriere dieses «SED-Heinis» da!?
«Daß du so von ihm redest, das laß ich nicht zu!» Nur keine Polizei, nur keine Presse, nur keinen Skandal, um Gottes willen keinen herausfinden lassen, wer Yemayás Vater war. «Ich hab ihm das geschworen, du! Ob ich ihn liebe – oder ob ich ihn hasse, ich weiß es nicht, aber ich wollte das Kind, ich! – und er soll nicht büßen dafür. Als großen Mann soll Yemayá ihren Vater mal erleben und nicht als jemanden, den sie abgehalftert haben, der im Knast gewesen ist, Hilfsarbeiter irgendwo!»
Corzelius schluckte runter, was ihm auf der Zunge lag, daß dies hier keine Bühne war, daß sie spleenig, überdreht, bescheuert sei, doch endlich davon loskommen sollte, auf weiblichen Kinski zu machen, beließ es bei einem eher milden: «Du bist ja vom wilden Wahn besessen…»
«Mein Gott, laß mich doch wahnsinnig sein!» schrie sie ihn an und warf dabei vier,
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