Da hilft nur noch beten
fünf Teller und Tassen an die Wand, ließ sie mit irrem Klang zerspringen. «Wahnsinn ist der Traum eines einzelnen, aber die Vernunft der Wahnsinn aller. Ich will nicht vernünftig sein, ich kann nicht vernünftig sein!» Sie sank auf einen Stuhl und preßte die Stirn auf den Tisch, beruhigte sich erst wieder, als Mannhardt, aufgeschreckt durch den Lärm, in Unterwäsche angelaufen kam, sagte dann mit wieder flackernder Stimme und immer noch einigem Pathos: «Setz dich nieder, du sollst jetzt alles wissen!» War nicht Jessica, spielte Jessica als Rolle, half sich damit, das Schreckliche zu überstehen, konnte sich jederzeit sagen: In Wirklichkeit liegt Yemayá ja hinten im Zimmer, und dies hier ist alles nur ein Stück, wo ich die Mutter bin, der sie das Kind gestohlen haben.
So wurde Mannhardt nun in alles eingeweiht und hatte mit Handschlag zu schwören, nie einem anderen Mitteilung von Wuthenows Doppelleben zu machen: dort linientreuer roter Puritaner, hier mit einer sehr exotischen Geliebten, einem Kleinod durch und durch und einer süßen Tochter in der Wiege. Einer Geliebten zudem, die aus Paraguay kam, wo sie einen deutschen Vater hatte, der ein alter Nazi-Mörder war. Und das war es auch, was Wuthenow zu der Bemerkung veranlaßt hatte, daß seine Tochter leicht tödlich für ihn werden konnte.
Mannhardt fand, daß das alles ein wenig nach Simmel und Konsalik schmeckte, bekam aber von Corzelius sofort ins Stammbuch geschrieben, daß es in dieser Welt auch noch andere Ebenen gab als die seiner Laubenkolonie und der gewöhnlichen Beamtenschaft Berlins. «Vielleicht lieste ab und zu mal wieder Zeitung, Mann!»
«Das Brammer Tageblatt, ja.Letzte Meldung: Russen vor Moskau! Heini Klötenbein bei Kohl-und-Pinkelfahrt von Jauchewagen überrollt!»
Da ging es um Yemayás Leben, und sie blökten sich an; Jessica schmiß vor Wut darüber Stühle um und Hocker, hämmerte mit ihren Fäusten Mannhardt auf die Brust: «Tu doch was, bitte, tu doch was!»
«Was sollen wir denn machen: außer warten, bis das Telefon klingelt…!?»
«Ja, ‘s hat doch keinen Zweck, jetzt blindlings durch die Stadt zu laufen oder einen nach dem anderen anzurufen!»
«Wuthenow!» rief Jessica.
«Der kommt noch ohnehin morgen früh nach West-Berlin rüber; hat er mir vorhin an ‘er Fähre gesagt.»
«Ich kann nicht hier oben sitzen und warten, bis was passiert! Warten, warten, warten!»
Sie geriet nun in eine Phase, in der sie übernervös und furchtbar hektisch war, tausenderlei Dinge auf einmal machen wollte und auch machte: alle Blumen goß sie und putzte das Fenster zum Balkon, schaltete alle drei ihrer Radioapparate ein und ließ sie mit verschiedenen Programmen loslärmen, zerriß alte Zeitungen und stopfte den Abfall vom Morgen in Mülleimer und -sack, saß dann wieder minutenlang konzentriert vor ihrem kleinen Fernseher, wohl in der Annahme, sie würden eine Meldung bringen, Yemayá sei irgendwo gefunden worden.
Das war wie ein Zündfunke, sie sprang auf und stürzte zu Mannhardt und Corzelius hin, die am Überlegen waren, wer, wie und warum…?
«Einer von euch beiden rennt jetzt auf die Straße runter und ruft von ‘er Zelle aus an, ob die Polizei irgendwo ‘n ausgesetztes Baby…!?»
«Warum ‘n von ‘er Zelle aus?»
«Damit sie nicht dahinterkommen, daß wir von hier aus anrufen.»
«Ja, Mensch, da hätten wir schon eher drauf…! Vielleicht haben sie’s schon längst irgendwo wieder…!» Corzelius rannte zur Tür. «Ich ruf mal an, als Journalist, ich kenn da einen bei der Pressestelle, und sag, ich hätt ‘n anonymen Anruf bekommen, daß da einer ‘n Baby mitgenommen und später wieder ausgesetzt hat. Ob da was Wahres dran wäre.»
Schon war er im Treppenhaus draußen, da sprang ihm Jessica hinterher, und beide liefen sie die Treppe hinunter. Mannhardt, schnell ans Fenster getreten, sah sie über die Straße rennen.
Er holte, inzwischen wieder mit Hose, Hemd und Lederjacke bekleidet, seinen Fontane, den Spreeland-Band, aus dem Rucksack heraus, setzte sich neben das weinrote Tastentelefon und wartete, blätterte, um sich abzulenken, von hinten nach vorne und wieder zurück, las per Zufall einiges, so auf der 291 als Kapiteleinleitung einen Zweizeiler, den er irgendwie, verfluchten sie doch in der Bibel andauernd Spötter wie ihn, sehr tröstlich fand: Von allen Geistern, die verneinen, / Ist mir der Schalk am wenigsten verhaßt. Zwei Dutzend Seiten davor war vom Propst Paul Gerhardt die Rede, wie ihm in
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