Dackelblick
Er krault mich im Nacken. »Aber sie will es mir nicht sagen - und du
kannst
es mir nicht sagen.«
Wenn ich ehrlich bin: Selbst wenn ich reden könnte, würde ich Daniel nicht erzählen, was passiert ist. Denn mittlerweile wünschte ich, Beck und ich hätten nie die bescheuerte Idee mit dem Höschen gehabt. Als Carolin und ich von Nina kamen, war Thomas zwar schon weg. Aber ansonsten ist nichts von dem, was ich mir erhofft hatte, eingetreten. Wir sitzen nicht gemütlich auf dem Sofa und kuscheln zusammen. Ich schlafe auch nicht auf Thomas' Seite im Bett. Nein, seit Thomas weg ist, ist auch Carolin nicht wiederzuerkennen. Sie weint viel. Sie spricht nicht mehr mit mir. Sie spricht eigentlich mit niemandem. Und sie schläft kaum. Sie geht in der Wohnung hin und her und hört laut Musik. Manchmal so laut, dass es selbst den anderen Menschen zu viel wird - und das will bei denen schon etwas heißen. Aber wenn die Nachbarn klingeln und sich beschweren, guckt Carolin sie nur wortlos an und macht die Tür wieder zu. Zwar dreht sie die Musik dann etwas runter, sonst ändert sich aber nichts. Sie läuft weiter ziellos in der Wohnung umher.
Seit vier Tagen geht sie auch nicht mehr zur Arbeit in die Werkstatt. Hat mich morgens geschnappt und ist mit mir runter zu Daniel. Sie hat kaum etwas gesagt, nur gefragt, ob sich Daniel tagsüber um mich kümmern könne. Also verbringe ich momentan meine Tage mit ihm, abends bringt er mich dann wieder hoch. Dabei versucht er bei jeder Dackelübergabe, Carolin in ein Gespräch zu verstricken, doch das klappt leider nie.
»Echt, Herkules, ich mache mir Sorgen. Dass sie das mit Thomas so mitnimmt, ist doch furchtbar. Ich meine, du wirst mir sicher Recht geben: Der Typ war ein kompletter Idiot, dem man nicht hinterherweinen muss. Erst recht nicht, wenn man so eine Klassefrau wie Carolin ist.«
Wuff, genau! Beim Namen
Thomas
knurre ich ein bisschen, ansonsten wedele ich ob der Daniel'schen Analyse mit dem Schwanz.
Das einzig Nette in der momentanen Situation sind tatsächlich die Männergespräche zwischen Daniel und mir. Na ja, Gespräch ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber immerhin redet Daniel ziemlich viel mit mir. Ist wahrscheinlich kein Wunder, schließlich sind wir jetzt meistens allein. Aber ich erfahre dadurch doch eine ganze Menge über die Menschen im Allgemeinen und Carolin im Speziellen. Und natürlich über Daniel. Er kannte Carolin schon, bevor Thomas um die Ecke kam. Die beiden haben nämlich zusammen gelernt, wie man diese Holzdinger, also Geigen und Celli und so, baut. Irgendwo ganz weit weg war das. In einem Ort mit einem wundervollen Namen: Mittenwald.
Mitten im Wald.
Das muss einfach eine ganz tolle Stadt gewesen sein, wenn sie schon so heißt.
In Daniels und Carolins Geigenbauklasse gab es ganz viele Mädchen, aber keines war so wie Carolin. Daniel hat das gleich erkannt, und bald waren sie die besten Freunde. Sie haben sogar zusammen gewohnt. Viele Sachen, die jeder von ihnen zum ersten Mal im Leben gemacht hat, haben sie zusammen erlebt: der erste große Hausputz, der erste selbst gekochte Sonntagsbraten, das erste Weihnachten ohne Eltern. Nur die erste große Liebe, die hatte jeder für sich. Was auch den Vorteil hatte, sich dann gegenseitig trösten zu können.
Wenn Daniel erzählt, habe ich fast das Gefühl, als sei ich selbst ein Mensch. Zumindest bilde ich mir ein, dass ich langsam begreife, wie die Zweibeiner ticken. Sicher, Herr Beck hat mir auch schon so manches erklärt. Aber aus dem Munde des Studienobjektes selbst klingt das doch irgendwie ... glaubwürdiger. Bei Beck bin ich mir jedenfalls nicht immer ganz sicher, ob er sich nicht einen Teil einfach ausdenkt, um die Geschichte interessanter zu machen.
Daniel tätschelt mich noch einmal, dann setzt er mich wieder auf den Boden. »So, jetzt muss ich mal einen Schlag reinhauen, sonst versinken wir hier langsam, aber sicher im Chaos. Gleich kommt eine besondere Kundin. Für dich als Dackel wahrscheinlich nicht so leicht zu erkennen - aber als Mann kann ich dir versichern: eine Augenweide! Eine exzellente Musikerin noch dazu. Und ein Temperament - o là là! Nicht von schlechten Eltern, die Dame. Manchmal muss man sie ein bisschen bremsen, aber es ist immer schön, sie zu sehen.«
Er fängt an, eine Melodie zu summen und seine Werkbank aufzuräumen.
Das ist nun wirklich langweilig. Und wohlmöglich spielt diese exzellente Musikerin auch gleich Geige, das ist dann erst recht nichts für mich.
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