Daddy Langbein
übermittelt. Wie Du siehst, bin ich hier, und zwar seit fünf Tagen.
Der Wald ist schön und ebenso das Camp und ebenso das Wetter und die McBrides und die ganze Welt. Ich bin sehr glücklich!
Da ist Jimmie und ruft, daß ich zum Kanufahren kommen soll. Adieu — es tut mir leid, daß ich unfolgsam war, aber warum bestehst Du so hartnäckig darauf, daß ich nicht ein wenig spielen soll? Nachdem ich den ganzen Sommer gearbeitet habe, verdiene ich zwei Wochen Erholung. Du bist furchtbar mißgünstig.
Jedoch: ich liebe Dich immer noch, Daddy, trotz allen Deinen Fehlern.
Judy.
3. Oktober.
Lieber Daddy-Langbein!
Zurück ins College und ein Senior — außerdem Redakteur des „Monthly“. Es scheint doch kaum möglich, daß eine so gewitzte Person noch vor vier Jahren Insassin des John-Grier-Heims war? Wir arrivieren schnell in Amerika.
Was sagst Du dazu: ein Briefchen von Master Jervie, nach Lock Willow addressiert und hierher nachgeschickt. Es tut ihm leid, aber er entdeckt, daß er diesen Sommer nicht kommen kann; er hat die Einladung von Freunden auf eine Jacht angenommen. Hofft, daß ich einen hübschen Sommer hatte und das Land genieße.
Und er wußte die ganze Zeit, daß ich bei den McBrides war, denn Julia hatte es ihm gesagt! Ihr Männer solltet das Intrigieren den Frauen überlassen. Ihr habt nicht die leichte Hand dafür.
Julia hat einen Koffer voll der hinreißendsten Kleider — ein regenbogenfarbiges Abendkleid aus Liberty-Crêpe, das die richtige Gewandung für die Engel im Paradies wäre. Und ich hatte geglaubt, meine eigenen Kleider seien dies Jahr so schön wie noch nie. Ich machte Mrs. Pattersons Garderobe mit der Hilfe einer billigen Schneiderin nach; und obwohl die Kleider nicht genau wie die Originale ausfielen, war ich doch ganz glücklich, bis Julia auspackte. Aber jetzt — ich lebe, um Paris zu sehen!
Lieber Daddy, bist Du nicht froh, daß Du nicht ein Mädchen bist? Ich nehme an, das Getu, was wir über Kleider machen, erscheint Dir ganz blödsinnig? Das ist es auch. Kein Zweifel. Aber es ist ganz Eure Schuld.
Hast Du je von dem gelehrten deutschen Professor gehört, der unnötigen Schmuck mit Verachtung strafte, und der für vernünftige nützliche Kleider für Frauen war? Seine Frau, die tat, was er wünschte, trug „Reformkleider“. Und was glaubst Du, was er tat? Er ging mit einem kleinen Mädchen vom Theater durch.
Immer Deine
Judy.
P. S. Das Zimmermädchen in unserem Gang trägt blaukarierte Kattunschürzen. Ich werde ihr statt dessen ein paar braune kaufen und die blauen im Weiher versenken. Sooft ich sie sehe, durchrieselt mich ein böser Erinnerungsschauer.
17. November.
Lieber Daddy-Langbein!
Ein furchtbarer Frost hat sich über meine literarischen Berufsaussichten gelegt. Ich weiß nicht, ob ich es Dir erzählen soll oder nicht, aber ich hätte gern ein wenig Anteilnahme — schweigende Anteilnahme, bitte; reiße die Wunde nicht wieder auf, indem Du in Deinem nächsten Brief darauf Bezug nimmst.
Ich habe ein Buch geschrieben, den ganzen Winter an den Abenden und den ganzen Sommer, wenn ich nicht meine beiden dummen Kinder unterrichtete. Ich hatte es gerade fertig, bevor das College wieder aufmachte, und schickte es einem Verleger. Er behielt es zwei Monate, und ich war sicher, daß er es nehmen werde; aber gestern früh kam ein Eilpostpaket (30 Cents Nachporto), und da war es wieder zurück mit einem Brief des Verlegers, einem sehr netten väterlichen Brief — aber aufrichtig! Er sagte, er sehe aus der Adresse, daß ich noch im College sei, und wenn ich seinen Rat annehmen wolle, dann würde er vorschlagen, daß ich meine ganze Energie an mein Studium wende und mit dem Schreiben warte, bis ich fertig bin. Er legte das Urteil des Lektors bei. Hier ist es.
„Fabel höchst unwahrscheinlich. Charakteristik übertrieben. Konversation unnatürlich. Ziemlich viel Humor, aber nicht immer vom besten Geschmack.
Sagen Sie ihr, sie soll es weiter versuchen. Mit der Zeit mag sie ein wirkliches Buch hervorbringen“.
Im ganzen nicht gerade schmeichelhaft, nicht, Daddy? Und ich bildete mir ein, einen bemerkenswerten Beitrag zur amerikanischen Literatur geliefert zu haben. Wirklich. Ich wollte Dich damit überraschen, daß ich vor meinem Abschluß einen großen Roman schreibe. Ich sammelte das Material dafür, als ich an Weihnachten bei Julia war. Aber ich nehme an, daß der Herausgeber recht hat. Wahrscheinlich sind zwei Wochen nicht genug, um die Sitten und Gebräuche
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