Dämenkind 2 - Kind der Götter
sie vorwärts, ohne auf Turon zu warten, machte vorsätzlich lange Schritte, weil sie wusste, dass sie dadurch den schwabbeligen kurzen Eunuchen tüchtig zu laufen zwang, wollte er ihr auf den Fersen bleiben. Eine kleinliche Art der Rache, gewiss, aber da er solche Schadenfreude an ihrem Missgeschick fand, verdiente er sie. Bedienstete und Sklaven sprangen aus dem Weg, während Adrina durch die ausgedehnten, in Schwarz und Weiß gekachelten Flure des Sommerpalastes rauschte.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, um zum Audienzsaal ihres Vaters zu gelangen, sodass Turon hinter ihr gehörig ins Japsen geriet. Im großen Vorraum hielt sich eine verdrießlich große Anzahl von Höflingen und Hofdamen auf und umstand, reich mit Juwelen behängt, die hohen Topfpalmen, geradeso, als ob sich schillernde Käfer um verspritzte Honigtropfen drängten. Sie starrten Adrina an, kaum dass sie eintrat, und ihre Mienen reichten von selbstgefälliger Erheiterung bis hin zu schwelendem Zorn. Selbst den Sklaven, die die riesigen Fächer schwenkten, mit denen sich die feuchtschwüle Luft zwar bewegen, aber kaum kühlen ließ, war Neugier anzumerken.
Adrina dachte gar nicht daran, erst eine Erlaubnis einzuholen, sondern eilte schnurstracks auf die von schönen Schnitzereien prunkende Sandelholztür des Audienzsaals zu. Die Wachen öffneten ihr den Eingang. Turon musste in würdeloses Rennen verfallen, um sie einzuholen und ihr Kommen melden zu können. Doch zwei Schritte vor dem Königlichen Kanzler befahl Adrina den Wachen, die Tür hinter ihr zu schließen. Voller Genugtuung hörte sie Turon entrüstet aufbegehren, als die gehorsamen Wächter ihm die Tür vor der Nase zuschlugen.
Hablet hob den Blick, als sie in den Audienzsaal trat. Das war kein gutes Vorzeichen. Der König neigte zu heftigen Anwandlungen von Wut, die allerdings so jäh verpufften wie sie ausbrachen. Dieses Mal war er über bloßen Zorn hinaus. Ihn erfüllte stille Wut, die sich äußerlich als täuschend ruhige Haltung darbot.
Diese Art der Erbitterung hatte Adrina bisher nur einmal bei ihm erlebt. Damals hatten ihre Halbbrüder Tristan und Gaffan, beide Bankerte, das Standbild Jelanas, der Göttin der Fruchtbarkeit, aus ihrem Tempel entwendet und aufs Dach des berüchtigtesten Freudenhauses Talabars gestellt. Halb hatte Adrina erwartet, dass Hablet die Brüder umbringen würde, als er von dem Streich erfahren hatte. Ihr Vater war ein hinterhältiger, unredlicher und wetterwendischer Mann und dabei sehr fromm. Außerdem ersehnte er sich geradezu verzweifelt einen rechtmäßigen Sohn, sodass er befürchtet hatte, Jelana könnte ihn zur Strafe für die üblen Umtriebe seiner niedrig geborenen Söhne mit Zeugungsunfähigkeit schlagen. Doch bislang brauchte er sich
offenkundig in dieser Hinsicht nicht zu sorgen. Seither hatte Hablet mindestens noch ein Dutzend weiterer Kinder gezeugt, aber noch immer nicht den erhofften rechtmäßigen Sohn. Vielleicht musste darin Jelanas Strafe gesehen werden.
»Adrina«, sagte Hablet mit einem kalten Lächeln.
»Papa …«
»Nenn mich nicht ›Papa‹, meine Liebe.« Offenbar befand er sich in noch ärgerer Stimmung, als sie angenommen hatte.
»Ich kann dir alles erklären …«
»So, du kannst es mir erklären?«, vergewisserte sich Hablet und nahm einen Stoß Pergamente zur Hand, der auf seinem vergoldeten Pult lag. Durch die hohen, gegenwärtig offenen Fenster strömte Sonnenschein herein und spiegelte sich auf der Vergoldung, sodass das Gleißen schmerzlich in Adrinas Augen stach. Außer dem Lehnstuhl, auf dem der König saß, gab es keinen einzigen Sitz im Saal, deshalb musste sie vor ihm stehen wie eine ungezogene Sklavin. »Was kannst du mir denn erklären, meine Liebe? Wie erklärst du mir die Forderung von über siebenhundert Gold-Lukaten, die ich von Lord Hergelat erhalten habe? Anscheinend hast du seine Prunkbarke versenkt. Oder dies hier?« Hablet hielt einen zweiten Bogen Pergament in die Höhe. »Lord Brendle behauptet, du hättest auch seine Dau in den Grund gebohrt. Er verlangt zur Wiedergutmachung zweihundert Lukaten. Ferner wünscht die Edle Pralton eine Entschädigung, weil Lord Brendles Dau eine Ladung ihres kostbaren Weins an Bord hatte, der jetzt auf dem Grund des Hafens schwimmt und, wie ich mir denken könnte, eine
Vielzahl von Fischen trunken macht. Dass achtundzwanzig Rudersklaven verletzt wurden, als du die Wogenkrie ger gegen die Ufermauer gesteuert hast, will ich nur am Rande erwähnen, aber den
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