Dämmerschlaf - Roman
weil sie nicht schlafen konnte, und versuchte, vor den Menschen in ihrer Umgebung zu verheimlichen, wie kurz ihre Momente des Vergessens waren. Nachts in der Finsternis war ihr, als schleppte sie sich durch Straßenschluchten voller Lärm und gleißendem Licht, wie ein Wanderer im Labyrinth einer unbekannten Stadt. Selbst die kurzen Phasen des Schlafs waren erfüllt von Licht und Lärm und dem irritierenden Gefühl, preisgegeben zu sein, sodass sie sich der Ruhepause immer erst im Nachhinein bewusst wurde. Nur tagsüber, wenn sie allein im Zimmer war, vermochten ihre Lider sich schließend die Außenwelt manchmal auszusperre n …
Solch eine Atempause kam jetzt über sie, und als sie aus dem Nichts aufschreckte, sah sie ihren Vater neben sich sitzen. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn vor dem Abschied noch einmal unter vier Augen zu sprechen. Sie hatte angenommen, dass die Eltern den gemeinsamen Abschied geschickt bis nach dem Dinner hinauszögern würden und unmittelbar danach zum Bahnhof fuhren. Einen Augenblick lang lag sie da und schaute zu Manford hoch, ohne wirklich zu begreifen, dass er da war, und ohne zu wissen, was sie sagen sollte, falls er tatsächlich da war.
Es stellte sich heraus, dass auch er es nicht wusste. Vielleicht hatte ihn – fast widerstrebend – das unbestimmte Verlangen an ihr Bett geführt, noch einmal mit ihr allein zu sein, bevor sie schieden; vielleicht war er auch gekommen, weil er den Verdacht hegte, sie könne glauben, er fürchte sich davor. Wortlos setzte er sich in den Sessel, den Pauline soeben verlassen hatte.
Es dämmerte schon, und Nona nahm die Gestalt neben ihrem Bett nur als massigen Schatten wahr. Nach einer Weile streckte ihr Vater die Hand aus und legte sie auf die ihre.
«Es ist schon fast dunkel», sagte sie. «In etwa einer Stunde seid ihr weg.»
«Ja. Mutter und ich essen früher.»
Sie schob ihre Finger zwischen die seinen, und wieder saßen sie schweigend da. Sie hatte ihn gern neben sich, aber sie war froh, um seinet- und ihretwillen, dass sein Gesicht im Dämmerlicht undeutlich blieb. Sie hoffte, das Schweigen zwischen ihnen würde nicht gebrochen. Solange sie ihn weder sah noch hörte, empfand sie seine Nähe als merkwürdig tröstend – als ob die lebendige Wärme, die er ausstrahlte, sie untrennbar miteinander verband.
«In ein paar Stunde n …», begann er bemüht munter. Sie schwieg, und er fuhr fort: «Ich wollte noch einmal eine Minute mit dir allein sein. Ich wollte dir sage n …»
«Vater…»
Er drehte sich plötzlich auf seinem Sessel um, beugte sich über sie und drückte die Stirn auf die Bettdecke. Sie entzog ihm ihre Hand und fuhr damit durch das dünne Haar an seinen Schläfen. «Sag nichts. Es gibt nichts zu sagen.»
Sie spürte, wie seine Schultern bebten, als sie sich gegen sie pressten, das Beben durchlief auch ihren Körper, und ihr war, als löste sich ihr Herz auf.
«Alter Papa.»
«Nona.»
Danach schwiegen beide wieder, bis irgendwo im Dunkel eine Uhr schlug. Manford stand auf. Er straffte ungeduldig die Schultern, eine für ihn typische Bewegung, und bückte sich, um seine Tochter auf die Stirn zu küssen. «Ich glaube nicht, dass ich noch einmal nach oben komme, bevor wir fahren.»
«Nein.»
«Es hat keinen Sin n …»
«Nein.»
«Ich kümmere mich um deine Mutter – tu, was ich kan n … Auf Wiedersehen, Liebchen.»
«Auf Wiedersehen, Vater.»
Er suchte noch einmal tastend nach ihrer Stirn und ging dann hinaus. Sie schloss die Augen und lag im Dunkeln, und ihr Herz legte sich bergend wie zwei Hände um den Gedanken an ihn.
«Nona, Liebling!»
Nun musste sie noch den Abschied von ihrer Mutter durchstehen. Nun ja, das war vergleichsweise leicht und fand außerdem im hell erleuchteten Zimmer statt; Pauline stand auf der Schwelle, schlank, aufrecht und mit Bedacht für die Reise gekleidet – vollkommen und wunderbar! Ja, das war geradezu leicht.
«Kind, es ist Zeit, wir fahren in ein paar Minuten. Aber ich glaube, ich habe alles wohlgeordnet hinterlassen. Maisie ist unten. Sie kennt all meine Anweisungen und hat die Liste der Bahnhöfe, an die sie telegrafieren soll, wie es dir geht, während wir den Kontinent durchqueren.»
«Aber Mutter, es geht mir gut; es ist überhaupt nicht nöti g …»
«Liebes! Du wirst nicht verhindern können, dass ich mich regelmäßig nach dir erkundige.»
«Nein, ich weiß. Ich meinte nur, du brauchst dich nicht zu sorgen.»
«Natürlich sorge ich mich nicht, das lasse ich gar
Weitere Kostenlose Bücher