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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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nicht zu. Du weißt, wie ich darüber denke. Und außerdem», fügte Mrs Manford sieghaft hinzu, «was gibt es schon auf Erden, worüber wir uns Sorgen machen müssten?»
    «Nichts», pflichtete Nona ihr lächelnd bei.
    Pauline bückte sich und drückte ihrer Tochter einen innigen Kuss auf die Stirn, genau an die Stelle, die eben schon Manfords Lippen gestreift hatten. Pauline spielte ihre Rolle besser – und machte es folglich ihren Mitspielern leichter, die ihre zu spielen.
    «Auf Wiedersehen, liebe Mutter. Lasst es euch so gut gehen wie irgend möglich, ja?»
    «Es wird eine hochinteressante Reise – mit einem so klugen und gebildeten Mann wie deinem Vate r … Wenn du nur mitkommen könntest! Aber du versprichst, in Ägypten zu uns zu stoßen?»
    «Nimm mir jetzt kein Versprechen ab, Mutter.»
    Pauline erhob sich zu ihrer vollen Größe und blickte aufmerksam auf ihre Tochter hinunter. Unter ihrem glatten neuen Gesicht glaubte Nona mal hier, mal da erneut das Flackern der Angst zu erkennen, wie ein Licht, das in einem lange unbewohnten Haus von Fenster zu Fenster wandert. Dieses kurze Aufleuchten erschreckte das Mädchen und griff ihr ans Herz. Plötzlich brach etwas in ihr auf. Ihre Lippen verzogen sich wie die eines Kindes, und sie spürte Tränen über ihre Wangen laufen.
    «Nona! Du wirst doch nicht weinen?» Pauline kniete sich neben sie.
    «Es ist nichts, Mutter – nichts. Geh! Bitte, geh!»
    «Liebling – wenn du nur eines Tages glücklich wirst!»
    «Glücklich?»
    «Ja, ich meine, wie andere Menschen. Verheirate t …», wagte sie hinzuzufügen.
    Nona hatte ihre Tränen abgewischt. Sie hob den Kopf und blickte Pauline offen ins Gesicht.
    «Verheiratet? Glaubst du, verheiratet zu sein würde mich glücklich machen? Wie kommst du nur darauf! Ich will nicht heiraten – es gibt niemanden auf Erden, den ich heiraten würde.» Sie starrte ihrer Mutter mit glasharten, unbewegten Augen ins Gesicht. «Heiraten! Hundertmal eher ginge ich für immer ins Kloster!», rief sie.
    «Ins Kloster – Nona! Doch nicht in ein Kloster?»
    Pauline hatte sich wieder erhoben, stand vor ihrer Tochter, und Schmerz und Verwunderung brachen durch die feinen Risse ihres Make-ups. «Noch nie habe ich etwas derart Entsetzliches gehört», sagte sie.
    Tiefer als all ihre eklektische Religiosität, tiefer als ihr Stolz auf den Empfang des Kardinals, tiefer als die vielen vordergründigen Widersprüche und Verrenkungen eines schon ganz ausgeleierten Gewissens, saß die nackte, altbekannte puritanische Angst vor dahingleitenden Priestern und Weihrauch und Götzendienerei, und Nona sah mit leisem Lächeln, wie sie sich an die Oberfläche des Gesichts ihrer Mutter stahl. Vielleicht war diese nackte Angst der einzige ursprüngliche Charakterzug, der ihr noch geblieben war.
    «Manchmal denke ich, du willst mir das Herz brechen, Nona. Mir jetzt so etwas zu sagen ! … Ins Kloster gehe n …», stöhnte die Mutter.
    Das Mädchen ließ den Kopf wieder zwischen die Kissen sinken. «Ach, ich meine ja ein Kloster, in dem niemand an etwas glaubt», sagte sie.

NACHWORT
    Dämmerschlaf (Twilight Sleep) ist eine Satire auf die besseren Kreise New Yorks. Schmerzfrei durchs Leben zu kommen, dabei stetig nach vorn zu schauen und an der Optimierung der eigenen Person, vor allem des eigenen Körpers zu arbeiten, damit weder große Gefühle noch Krankheit und Tod einem die Laune verderben – das sind die Themen dieses Romans. Nehmen wir die anderen Topoi hinzu – Drogen, Okkultismus, New Age, Psychogebrabbel, Schönheitschirurgie, Partygetöse, Moden fürs innere und äußere Leben, Selbstbetrug und ein überwältigendes Gefühl von Leere, das mit dem Engagement für eine bessere Welt, wie die Bewohner der Park Avenue sie sich vorstellen, abgewehrt wird –, dann schauen wir auf eine Gesellschaft, die uns bekannt vorkommt. Nicht als historische, längst vergangene, sondern als die, in der wir leben.
    Dieses Lebensgefühl, das uns heute so vertraut ist, kam erstmals in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem großen Börsencrash auf. Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald, viele seiner Kurzgeschichten und auch die Romane von Thomas Wolfe atmen diese Stimmung und lassen eine Verzweiflung ahnen, die unbedingt betäubt werden muss. Drei Romane über diese «Jazz Age» genannte Zeit hat Edith Wharton geschrieben – die anderen sind Glimpses of the Moon (1922; dt. Der flüchtige Schimmer des Monde s / Traumtänzer ) und The Children (1928) –,

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