Dämmerschlaf - Roman
und Twilight Sleep ist der böseste von ihnen, der böseste möglicherweise überhaupt, den sie je zu Papier gebracht hat. Er ist bis heute so gut wie unbekannt, was damit zu tun haben mag, dass das Buch viele Jahrzehnte lang vergriffen war und in Amerika erst 1996 neu aufgelegt wurde.
Unter jenen, die Dämmerschlaf kennen, gilt dieser Roman nicht als Edith Whartons stärkster. Aber was heißt das schon, angesichts von Meisterwerken wie The House of Mirth (1905; dt. Das Haus der Freude ), Ethan Frome (1911; dt. Winter ) oder The Age of Innocence (1920; dt. Zeit der Unschuld ), dem Buch, das mehr als siebzig Jahre später von Martin Scorsese in atemraubendem Dekor und Kostüm verfilmt wurde, was jener Zeit des «Gilded Age», in dem es angesiedelt ist, in der öffentlichen Aufmerksamkeit ein zweites Leben bescherte? Etwas weniger als ein Meisterwerk ist immer noch ein herausragendes Buch. Und die Zwanzigerjahre, in denen Dämmerschlaf spielt, eine Zeit also, die nicht wissen will, wie es im Inneren um sie steht, ist uns heute oftmals näher als jene kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert in Edith Whartons berühmteren Büchern.
Twilight Sleep kam im Mai 1927 im Verlag D. Appleton and Company in London und zeitgleich bei Grosset and Dunlap in New York heraus. Edith Wharton war damals bereits fünfundsechzig und lebte seit Langem in Frankreich. Seit 1913 hatte sie nicht mehr als elf Tage in ihrem Heimatland verbracht – alle elf im Jahr 1923 , als die Yale University sie als erste Frau mit der Ehrendoktorwürde auszeichnete. Dies war Edith Whartons letzter Aufenthalt in Amerika.
Die Reaktionen beim Erscheinen des Romans waren gemischt. Englische Kritiker lobten, etwa in der London Literary Times , die satirische Schärfe des Buchs und stellten fest, die Welt voller Lebenslügen, die sie brillant und mit zorniger Leidenschaft beschreibe, berge für Edith Wharton einen solchen Schrecken, dass sie manchmal nicht einmal mehr darüber lachen könne. In der New York Times war zu lesen, sie habe in voller Absicht eine «stahlgraue Geschichte» verfasst, was als Lob gemeint war, wie auch die Kritik von Edmund Wilson in der Zeitschrift The New Republic : Edith Wharton habe keinen blassen Abklatsch ihrer früheren Figuren geschaffen (was er bei einer Autorin ihres Alters offenbar befürchtet hatte), sondern etwas ganz anderes gewagt, und es sei ihr in erstaunlichem Ausmaß gelungen, sich noch einmal neu zu erfinden.
Doch es gab, vor allem in Amerika, auch andere Stimmen. Mit dem Hinweis, sie lebe ja schon längst nicht mehr in den USA , schrieb etwa die Kritikerin Dorothy Gilman, Edith Wharton habe völlig den Kontakt zu ihrer Klasse wie zu ihrem Geburtsland verloren, ebenso wie ihren früheren «charmanten Stil, ihren Witz und ihr Talent für genaue Charakterzeichnung». Ihr Roman Twilight Sleep sei nicht mehr als eine Allerweltsklamotte, die den Lesern von Fortsetzungsgeschichten vielleicht Spaß mache, literarisch aber sei sie uninspiriert – und Edith Wharton eine Schriftstellerin mehr, die für die ungebildeten Zeitschriftenleser schreibe. Der Vorwurf lautete also, sie habe die Literatur fürs Populäre drangegeben.
Der abschätzige Hinweis auf «Geschichten in Serie» bezog sich auf die übliche Praxis, Romane zunächst als Fortsetzungen in Magazinen zu veröffentlichen. Dies war eine wichtige Einnahmequelle für Autoren seit dem Aufkommen literarischer Magazine im 19. Jahrhundert. Charles Dickens war einer der ersten, die auf diese Weise ein großes Publikum fanden, und mehr oder weniger die gesamte englische Literatur des viktorianischen Zeitalters erschien in dieser Form. In Amerika brachte Harriet Beecher Stowe 1851 Onkel Toms Hütte in Serie unter die Leute, und mit vielen anderen folgten ihr so bedeutende Schriftsteller wie Henry James. Auch in Europa war die Serialisierung durchaus üblich, angefangen mit Gustave Flauberts Madame Bovary über Leo Tolstois Anna Karenina bis hin zu Fjodor Dostojewskijs Die Brüder Karamasow . Es gibt keinen Grund, und das wussten die Kritiker Edith Whartons vermutlich genau, von dieser Praxis auf den geringen literarischen Wert eines Buchs zu schließen. Richtig allerdings ist – Edith Wharton hat sich in Briefen oft darüber beklagt –, dass die Veröffentlichung von Fortsetzungen die Autoren unter immensen Zeitdruck setzte. Hatte die Serie einmal begonnen, musste im Abstand weniger Wochen, je nach Erscheinungsweise des Magazins, der nächste Teil fertig sein.
Edith Wharton
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