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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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ihrer Familienfabel: Ihre Mutter, eine Pascal aus Tallahassee, hatte angeblich Südstaatenadel beigesteuert. In entsprechender Stimmung sprach Mrs Manford von den «Pascals aus Tallahassee», als verdanke sie diesen ihre edelsten Wesenszüge; doch wenn sie Jim zu mehr Emsigkeit anhielt, berief sie sich auf das Blut ihres Vaters. «Auch wenn wir von den Pascals abstammen – der Kaufmannsberuf ist schließlich nichts Ehrenrühriges. Der Vater meines Vaters kam mit nichts als zwei Sixpence in der Tasche aus Schottland herübe r …» Und dann blickte Mrs Manford mit verzeihlichem Stolz auf den herrlichen Gainsborough 5 über dem Kaminsims im Esszimmer (den sie manchmal zu einem Ahnenporträt umzudeuten versucht war) und auf ihre gesunde, stattliche Familie, die um den mit georgianischem 6 Silber und Orchideen aus eigenen Treibhäusern geschmückten Tisch saß.
    Von der Schwelle aus rief Nona Miss Bruss noch einmal zu: «Bitte sagen Sie meiner Mutter, ich werde zum Lunch wahrscheinlich bei Jim und Lita bleiben», doch da hatte sich Miss Bruss schon erregt einem unsichtbaren Gesprächspartner zugewandt: «Aber Mr Rigley, Sie müssen Mr Manford unbedingt begreiflich machen, dass Mrs Manford heute Abend zum Dinner mit ihm rechne t … Es handelt sich um die Abendgesellschaft mit Tanz für die Marches a …»
    Die Heirat ihres Halbbruders hatte Nona Manford ihren ersten echten Kummer bereitet. Nicht dass sie seine Wahl missbilligt hätte. Wie hätte jemand diese spaßige, verantwortungslose kleine Lita Cliffe ernst genug nehmen können, um sie zu missbilligen? Die Schwägerinnen waren bald die besten Freundinnen. Wenn Nona etwas an Lita auszusetzen hatte, so dies, dass sie den unvergleichlichen Jim nicht ebenso blindgläubig anbetete wie seine Schwester. Aber schließlich war Lita nicht dazu geschaffen, andere anzubeten, sondern dazu, selbst angebetet zu werden; das offenbarte der gleichmütige, reglose Blick aus ihren langgezogenen, schmalen, haselnussbraunen Augen, das hieratisch starre, liebliche Lächeln, ja schon die Form ihrer Hände, so schlank und dennoch mit Grübchen, Hände, die niemals erwachsen geworden waren, die schlaff an den Handgelenken hingen, als warteten sie teilnahmslos darauf, geküsst zu werden, oder wie seltene Muscheln oder sich rundende Magnolienblütenblätter auf den Kissen ruhten, die verschwenderisch Litas trägen Leib umgaben.
    Jim und Lita Wyant waren nun seit fast zwei Jahren verheiratet, das Baby war sechs Monate alt. Die beiden zählten in ihrem Freundeskreis allmählich zu den «gesetzten Paaren», waren ein stabiler Orientierungspunkt im Heiratstreibsand von New York. Nonas Liebe zu ihrem Bruder war zu uneigennützig, als dass sie sich darüber nicht gefreut hätte; sie wünschte sich vor allem, dass ihr alter Jim glücklich war, und glücklich war er bestimmt – oder war es bis vor Kurzem gewesen. Schon Mrs Manfords eisernem Regiment entkommen zu sein bedeutete für ihn eine größere Erleichterung, als er selbst wahrhaben mochte. Und dann war er noch immer Litas glühendster Verehrer; noch immer bezauberten ihn ihre kindischen Launen, die Unpünktlichkeit und Verantwortungslosigkeit, die das Leben mit ihr nach der überpünktlichen Routine im perfekten Haushalt seiner Mutter so aufregend ungewiss machten.
    Über all das freute sich Nona; nur manchmal spürte sie schmerzlich die Einsamkeit in diesem perfekten Haushalt, jetzt, wo Jim, das einzige widerständige Element, fort war. Bestimmt ahnte Jim, dass sie einsam war: Er förderte die wachsende Vertrautheit zwischen seiner Frau und seiner Halbschwester und versuchte Letzterer das Gefühl zu geben, dass seine Wohnung ein zweites Zuhause für sie war.
    Lita war Nona immer freundlich gesinnt gewesen. Die beiden waren grundverschieden, aber fast gleich alt, und es verband sie hauptsächlich ihre Leidenschaft für jede Form von Sport. Lita war bei allem trägen Gerekel eine ebenso unermüdliche Tänzerin wie glänzende, wenn auch unzuverlässige Tennisspielerin und draufgängerische Reiterin bei der Fuchsjagd. Abgesehen von den Stunden, in denen sie müßig dalag und nach Amber duftende Zigaretten rauchte, war jeder Augenblick ihres Lebens ausgefüllt mit Tanzen, Reiten oder Sport.
    In den zwei, drei Monaten vor der Geburt des Kindes, als Lita teilweise zum Nichtstun gezwungen war, hatte Nona befürchtet, ihre unablässige Gier nach neuem «Nervenkitzel» könnte sie wie viele junge Frauen in ihren Kreisen zu einem tückischen

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