Dämmerschlaf - Roman
Zeitvertreib wie Alkohol oder Rauschgift greifen lassen; doch Lita war in eine Art lächelnde, animalische Langmut versunken, als habe das geheimnisvolle Werk, das in ihrem zarten jungen Leib vor sich ging, eine heilige Bedeutung für sie und als genüge es, still dazuliegen und es geschehen zu lassen. Ihre einzige Bedingung war, es solle ihr nicht «wehtun»; sie hatte panische Angst vor körperlichen Schmerzen, wie ebenfalls die meisten jungen Frauen in ihren Kreisen. Aber heutzutage ließ sich all das ja leicht regeln: Mrs Manford (die sich, da Lita Waise war, der Sache annahm) kannte natürlich die allerbeste «Dämmerschlaf» 7 -Klinik im Land, brachte Lita dort in der luxuriösesten Suite unter und überschwemmte ihre Zimmer mit Frühlingsblumen, Treibhausfrüchten, Romanneuerscheinungen und druckfrischen Zeitschriften, sodass Lita so leicht und empfindungslos in die Mutterschaft schwebte, als wäre das Wachspüppchen, das plötzlich in der Wiege neben ihrem Bett auftauchte, in einem der riesigen Rosensträuße hereingebracht worden, die sie allmorgendlich auf ihrem Kissen vorfand.
«Natürlich sollte da kein Schmerz sei n … nur Schönhei t … Es sollte einer der wunderbarsten, poetischsten Vorgänge auf Erden sein, ein Kind zu bekommen», erklärte Mrs Manford mit jener hellen, tragenden Stimme, die «Schönheit» und «Poesie» wie Errungenschaften einer fortgeschrittenen Industrialisierung klingen ließ und «Kinder» wie etwas, was man serienweise produziert wie Fords. Und Jim hatte sich unbändig über seinen Sohn gefreut, und Lita hatte es wirklich überhaupt nicht wehgetan.
2
Die Marchesa war ein ebenso unregelmäßiges wie unvermeidliches Ereignis in Mrs Manfords Leben.
Die meisten Menschen hätten die Marchesa als Störung empfunden, manche als etwas entschieden Lästiges und die Pessimisten als Schicksalsschlag. Mrs Manford war durchaus stolz darauf, dass sie diese Voraussetzungen zwar erkannt, daraus aber etwas Glanzvolles, ja sogar Beneidenswertes zu schaffen gewusst hatte.
Wo der eigene Ehemann (oder auch nur Exehemann) eine Cousine ersten Grades namens Amalasuntha degli Duchi di Lucera besaß, welche den Marchese Venturino di San Fedele aus einer der großen neapolitanischen Familien geheiratet hatte, wäre es dumm und verschwenderisch gewesen, eine solche Fügung aus Namen und Umständen nicht zu nutzen und (wie die Wyants) lediglich daran zu denken, dass Amalasunthas Besuch in New York nur dazu diente, Geld aufzutreiben, ihren schrecklichen Sohn wieder einmal aus einer Klemme zu befreien oder die Familienanwälte nach neuen Tricks zu fragen, wie sie die Reste ihres Vermögens gegen Venturinos systematische Raubzüge schützen könne.
Mrs Manford wusste im Voraus, wie hoffnungslos diese Bestrebungen samt und sonders waren – abgesehen von dem Versuch, bei ihr selbst Geld zu borgen. Sie lieh Amalasuntha immer zwei- oder dreitausend Dollar und verbuchte sie als Erfolgsposten in ihrem sorgfältig geführten Rechnungsbuch; sie schenkte der Marchesa sogar ihre (geschickt abgeänderten) Kleider vom letzten Jahr, und im Gegenzug erwartete sie, dass Amalasuntha auf die Manford’schen Einladungen jenen exotischen Glanz warf, wie ihn die nahe Verwandte eines Herzogs, der obendrein spanischer Grande und hoher Würdenträger am päpstlichen Hof war, auch noch in den staubigsten Nebenstraßen ausstrahlte, selbst wenn ihre Mutter nur eine Mary Wyant aus Albany gewesen war.
Mrs Manford hatte damit Erfolg gehabt. Ohne lange zu überlegen, verfiel die Marchesa ganz selbstverständlich in die ihr zugedachte Rolle. Bei einem stürmischen, unsicheren Leben wie dem ihren bedeutete New York, wo ihre reichen Verwandten lebten und von wo sie immer mit ein paar tausend Dollars heimkehrte, mit Kleidern, die man noch für ein weiteres Jahr herrichten konnte, und mit guten Ratschlägen, wie Venturino unter Druck zu setzen sei, einen Vorgeschmack auf den Himmel. «Dort leben? Carin a 8 , niemals! Es ist z u … zu ereignislos. Wie der Himmel wahrscheinlich auch. Aber alle sind himmlisch freundlic h … und Venturino hat gelernt, dass meine amerikanischen Verwandten bestimmte Dinge nicht hinnehme n …» So klang es, wenn Amalasuntha in den Salons von Rom, Neapel oder St. Moritz von ihren Besuchen in New York erzählte; wohingegen sie in New York ganz unbekümmert und gedankenlos – denn es gab kein schlichteres Gemüt als Amalasuntha – Namen fallen ließ und Erinnerungen beschwor, die in diese kleine, im
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