Daemmerung ueber der See
Konsequenzen auf sich zu nehmen, die sein Verhalten bei Bolithos Verwundung nach sich ziehen würde? Er hatte keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Das Schiff war vom Kabelgatt bis zur Achterpiek durchsucht worden – es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Vielleicht hatte ihn jemand umgebracht. Wie auch immer, Hamett-Parker, der Trevenen einen so wichtigen Posten zugeschoben hatte, würde gezwungen sein, eine Menge Fragen zu beantworten.
Abschied. Tyacke, ernst und seltsam traurig. Während sie sich die Hände schüttelten, hatte er seine Mißbildung vergessen. Ob Freunde oder Brüder, sie waren beides.
Und dann Adam, dessen
Anemone
das meiste abbekommen und die größten Verluste erlitten hatte. Adam hatte mit Stolz und tiefer Rührung von seinen Männern gesprochen. Zwei seiner Leutnants waren getötet worden. Er hatte seinen Emotionen freien Lauf gelassen, als er vom Kampf gegen die
Chacal
berichtete, auf der Barattes Flagge geweht hatte. Einer seiner Fähnriche, Dunwoody, war auch gefallen. »Ich hatte ihn für eine vorzeitige Beförderung vorgesehen. Er wird schmerzlich vermißt werden.«
Bolitho hatte seine Trauer mitgefühlt. So war es oft nach einer Schlacht, immer waren Namen und Gesichter mit ihr verbunden, besonders wenn der Preis so hoch war.
Bolitho war froh gewesen, abreisen zu können. Man hatte ihm eine Überfahrt auf einem kleinen Schiff der sechsten Klasse angeboten. Es hieß
Argyll.
Der junge Kommandant war sich der Wichtigkeit seines Passagiers und der Nachrichten, die er beförderte, wohl bewußt. Zweifellos hatte er sich gewundert, warum ein so hoher Offizier nicht auf eine komfortablere Transportgelegenheit gewartet hatte.
In Kapstadt hatte er einen Brief von Catherine bekommen. Auf der schnellen Reise vom Kap hatte er ihn wieder und wieder gelesen. Heftige Eifersucht hatte ihn geplagt, als sie ihren Besuch bei Sillitoe beschrieben hatte, aber auch Sorge um ihre persönliche Sicherheit und ihren Ruf.
Ich mußte es tun, zu unser beider Wohl. Ich durfte nicht zulassen, daß Dich meine Vergangenheit belastet. Du kannst mir immer vertrauen, mein Geliebter. Es gab keinen anderen, dem ich zutrauen konnte, mein Geheimnis zu hüten, aus welchem Grund auch immer. Es gab Zeiten, zu denen ich meine Handlungsweise in Frage stellte, aber das muß ich nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß Sir Paul Sillitoe von seinem Sinn für Anstand selber überrascht war.
In London verließ ihn Herrick, um sich einer weiteren Behandlung seiner Amputation zu unterziehen. Er war so ganz anders geworden. Doch immer noch darauf bedacht, seine Gefühle nicht zu zeigen, hatte er gesagt: »Vielleicht bieten sie mir jetzt etwas anderes an, Richard.« Seine leuchtend blauen Augen betrachteten den leeren Ärmel. »Ich hätte an jenem Tag noch mehr geopfert, nur um mir wieder deinen Respekt zu sichern.«
»Und die Freundschaft, Thomas.«
»Aye. Ich werde das nie vergessen. Nie wieder.« Er hatte gegrinst. »Ich werde die Rechnung begleichen. Irgendwie.«
Bolitho veränderte seine Sitzposition und zog seinen dicken Bootsmantel fester um sich. Der Wechsel vom Indischen Ozean in den englischen Winter war härter gewesen, als er vermutet hatte. Weil er älter wurde? Er dachte an sein Gesicht im Rasierspiegel, als ihn Allday heute morgen in St. Austell rasiert hatte. Das Haar war noch immer schwarz, bis auf die verhaßte weiße Strähne über dem rechten Auge, wo ihn das Entermesser vor Jahren getroffen hatte.
Wie mochte sie ihn sehen? Würde sie ihre Entscheidung, bei ihm geblieben zu sein, bedauern?
Er dachte an Yovell und Ozzard, die gemächlicher in einer zweiten Kutsche folgen, in der sich auch seine Habseligkeiten befanden. Er blickte auf die zusammengerollte Gestalt gegenüber. Die »kleine Crew« war weiter zusammengeschmolzen, als sie in Dorset übernachtet hatten. Avery blieb in Dorchester bei seiner verheirateten Schwester. Es war ein seltsam scheuer Abschied gewesen. Bolitho nahm an, daß sich sein Flaggleutnant die ihm angebotene Beförderung gründlich überlegte. Es war ein Karriererisiko, bei einem Vizeadmiral zu bleiben, den man für längere Zeit nicht einsetzen würde.
Die Kutsche hielt auf einem Hügelrücken, die Pferde dampften und stampften mit den Füßen.
All diese Wochen auf See, Erinnerungen an verlorene Schiffe und tote Gesichter, dann die Tage auf der Landstraße. Er zog das Fenster herunter und blickte auf das Feld. Der Steinwall war dick mit Moos bedeckt. Etwas Eis lag am
Weitere Kostenlose Bücher