DÄMONENHASS
sicher war er anders, schließlich kam er aus den sagenumwobenen Höllenlanden! Aber ... so anders auch wieder nicht. Sie hatte ihn von Kopf bis Fuß gewaschen und wusste daher, dass er nicht so anders war. Aber hübsch war er, oh ja! Hoch gewachsen und schmalhüftig. Auch stark, vor seinem Krankenlager, und er würde es wieder sein. Nana kannte den Begriff ›Athlet‹ nicht, aber sie konnte sich vorstellen, wie Harry ein Wildschwein jagte und den Speer schleuderte. Wie seine Muskeln spielten, seine seltsam honigbraunen Augen sich verengten. Sie konnte ihn sich bei ... vielen Dingen vorstellen.
Und die grauen, welligen Strähnen in seinem rotbraunen Haar: Es war unwahrscheinlich, dass das Alter sie hinzugefügt haben sollte. Harry Herrenzeuger war – nun ja, alterslos, nicht wahr? Als sie seinen Fieberreden lauschte, hatte er wie ein unschuldiger Knabe geklungen; tatsächlich schien sein Körper älter als sein Geist zu sein! Nana konnte es nicht wissen, aber mit diesem Gedanken erfasste sie die Wahrheit voll und ganz.
Doch warum wurde er dann grau? Kam es von seiner großen Gelehrsamkeit, der daraus folgenden Weisheit, der Last gewaltigen Wissens? Doch Wissen um welche Dinge? Auch mit diesen Überlegungen kam sie der Wahrheit näher, als sie ahnte. Doch wie die Dinge lagen, konnte sie nur leicht und arglos mit den Achseln zucken, und diese Geste blieb unbemerkt. Warum sollte sie sich mit diesem Rätsel plagen? Schließlich war er ein Höllenländer. Wahrscheinlich war es ganz gut, dass sie es nicht genauer wusste oder eingehender verstand.
Fast noch ehe der letzte Löffel Suppe heruntergeschlungen war, schlief Harry schon wieder. Eine halbe Stunde später übergab Nana Kiklu ihre Pflichten einer anderen, weit älteren Frau. Sie hielt ihr Wort und erwähnte die teilweise Gesundung ihres Patienten nicht ...
Harry erwachte zum Ende der sechsstündigen Schicht, sah die alte Zigeunerin, die auf ihrem Hocker eingenickt war, schloss die Augen und stöhnte, bis sie aufschreckte. Dann schlug er mit schwachen Bewegungen um sich, bis sie überzeugt war, dass er immer noch fieberte. Als er sich beruhigte, löffelte sie Suppe in ihn hinein und gab beruhigende Worte von sich, bis er wieder einschlief. Sechs Stunden später wandte er diese Täuschung bei einer dritten Szgany an, aber diesmal blieb ihr seine rasche Genesung nicht verborgen. Nur die zeitige Ankunft von Nana Kiklu rettete ihn.
»Er sieht wohl aus«, sagte seine unbekannte Szgany-Pflegerin zu Nana, als diese aus der langen Nacht der Sternseite hereintrat und sich aus einem dicken Pelzumhang schälte. »Sein Fieber geht zurück. Er hat keine Schweißausbrüche mehr, und er hat genug Suppe für zwei gegessen! Ich glaube, er wird bald aufwachen. Wir sollten dem Herrn Bescheid geben.«
Und Harry, der sich schlafend stellte, hörte Nana sagen: »Wir sollten nichts übereilen. Der Herr ruht sich aus. In fünf Stunden ist Sonnauf, und wenn es hell wird, ist immer noch Zeit genug. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich darum.«
»Wie du willst«, meinte die andere und ging hinaus.
Harry hatte die meisten Überlegungen im Schlaf angestellt, der zumeist tief und ruhig gewesen war, aber auch in seinen weit weniger ruhigen Träumen. Ihm war klar, dass sein Sohn ihn bald aus dieser in seine angestammte Welt zurückbringen und dort zurücklassen würde und dass er dort wieder ein freier Mann wäre. Doch eben nur ein Mann, kein Necroscope mehr. Daran führte kein Weg vorbei. Er hatte sich nicht damit abgefunden, aber ihm blieb auch keine Wahl. Im Augenblick schien seine Niedergeschlagenheit geradezu aus ihm herausgebrannt zu sein, nur dass ... sie gewiss wiederkehren musste. Oh ja, solange es in seinem Verstand verschlossene Türen gab, solange er sich an das Möbius-Kontinuum erinnerte und an seine zahllosen toten Freunde, die nun für ihn verloren waren, würde sie stets zurückkehren.
Doch während er Nana Kiklu, Schlaf vortäuschend, aus zu drei Vierteln geschlossenen Augen ansah, als sie zu ihm trat, stellte er fest, dass er an andere, erdgebundenere Dinge dachte. Irdische, allzu irdische Dinge, die jedoch nichts mit Alter oder Tod zu tun hatten. Denn Nana Kiklu stand beidem gleichermaßen fern. Im Gegenteil, sie war voller Leben. Und er dachte daran, wie ihre Brüste sich angefühlt hatten, als sie ihn an sich drückte.
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, warum er sich weiter schlafend stellte: damit er sie beobachten konnte, wie sie ihn ansah. Er wollte ihre Miene
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