Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
Haltung einnehmen sollte. Franciis Ehrgeiz reichte über ihren gegenwärtigen Rang nicht hinaus.
Neben ihr stand Harith Nortarn, die stattliche Herrin der Schwesternschaft. R'shiel wand sich innerlich. Die Frau war eine böse Vettel, und nicht einmal das mit schönen Stickereien verzierte weiße Gewand konnte ihr hartes Auftreten mildern. Jahrgänge über Jahrgänge von Novizinnen, Seminaristinnen und sogar fertig geschulte Blaue Schwestern lebten in der Furcht, ihren Zorn auf sich zu ziehen. Sogar die übrigen Quorum-Mitglieder vermieden es, sie gegen sich aufzubringen.
Als Nächstes galt R'shiels insgeheime Beachtung der kleinen, stämmigen Frau an Hariths Seite: Mahina Cortanen, Herrin der Erleuchtung. Sie trug ein ähnlich prächtiges Kleid wie Harith - weiche weiße Seide mit feinen Goldstickereien -, aber sie sah aus wie eine Bäuerin in geborgter Kluft. Unter sämtlichen Quorum-Angehörigen, R'shiels eigene Mutter eingeschlossen, betrachtete sie Mahina als ihre bevorzugte Bewerberin. Mahina war nur geringfügig größer als Francil und hatte eine strenge, doch versonnene Miene.
Neben Mahina trug auch Frohinia Tenragan den sich für diesen Anlass ziemenden Ausdruck von Trauer und stiller Würde zur Schau. R'shiels Mutter war das zuletzt ins Quorum aufgenommene Mitglied, und R'shiel hoffte von Herzen, dass sie die unwahrscheinlichste Nachfolgerin für das Amt der Ersten Schwester abgab. Obschon alle Quorum-Mitglieder den gleichen Rang hatten, oblagen der Schwester, die das Amt der General-Verwalterin ausübte, die Regelung der alltäglichen Angelegenheiten des Volkes und somit die Verantwortung für die Verwaltung jeder größeren Stadt Medalons. Auf einer Schwester in dieser Stellung lasteten schwere Bürden, und darum bewertete man dieses Amt seit jeher als Vorstufe zum Umlegen des Mantels der Ersten Schwester.
Nachdenklich beobachtete R'shiel ihre Mutter, dann schaute sie hinüber zu dem Mann, der ihr Vater sein sollte. Frohinia und Hochmeister Jenga zeigten im Umgang miteinander kühle Höflichkeit, und zwar schon so lange, wie R'shiel sich erinnerte. Hochmeister Jenga war ein hoch gewachsener, kraftvoller Mann mit eisengrauem Haar; er hatte sich auch R'shiel gegenüber stets tadellos höflich verhalten und ihres Wissens nie geleugnet, ihr Vater zu sein. Berücksichtigte sie die Eisigkeit, die sich in der Luft zu ballen schien, sobald ihre Mutter und der Oberste Reichshüter sich begegneten, konnte sie sich ganz und gar nicht vorstellen, dass die beiden einmal ein hinlänglich trautes Verhältnis gehabt hatten, um ein Kind zu zeugen.
Höher lohte das Feuer empor und erfasste Traylas weißes Totenhemd. Flüchtig fragte sich R'shiel, ob man wirklich genug Duftöle aufs Holz gegeben hatte. Würde der Gestank, wenn die Glut das Fleisch der toten Ersten Schwester röstete, den versammelten Schwestern Übelkeit verursachen? Wahrscheinlich nicht , lautete R'shiels düsteres Urteil.
Sämtliche Seminaristinnen und Novizinnen standen hinter den Quorum-Mitgliedern und der blauen Phalanx der Schwestern ums Rund des Amphitheaters aufgereiht und verfolgten ihre erste öffentliche Totenverbrennung aus großen Augen. Manche wirkten selbst im rubinroten Feuerschein etwas blass, doch morgen, wenn sie den jungen Attentäter baumeln sähen, würden sie sich aus Schadenfreude wohl die Kehlen heiser jubeln. Heuchlerinnen , dachte R'shiel und unterdrückte ein achtloses Gähnen.
Die Ehrenwache für die Erste Schwester dauerte die gesamte Nacht. Das allgemeine Schweigen hatte etwas Beunruhigendes an sich. Während ein nochmaliger Drang zu gähnen ihr Schande einzutragen drohte, schenkte R'shiel ihre Aufmerksamkeit den vorderen zehn Reihen der Arena, deren Sitze den rot gekleideten Hütern vorbehalten waren; dennoch brachten sie die ganze lange Ehrenwache im Stehen zu, und das in Habachthaltung. Hochmeister Jenga erübrigte für sie keinen einzigen Blick. In der Tat durfte er sich die Mühe sparen. Sie waren Hüter. Kein eingeschlafener Fuß regte sich im Laufe der Nacht; es gab keine gelangweilte Miene und kein verhohlenes Gähnen zu beobachten. R'shiel beneidete die Hüter um ihre Zucht.
Im Verlauf der Nacht lichtete sich allmählich die Menschenmenge auf den oberen Sitzbänken. Die einfachen Bürger der Festungsstadt mussten andere Stätten aufsuchen und ihrer Pflicht nachgehen. Sie konnten sich den Aufwand einer Totenwache, die die ganze Nacht währte, nicht leisten. Am Morgen erwarteten die Schwestern, Seminaristinnen
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