Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
in völlige Wirrnis geratene Lager durchmaßen. Mit der freien Hand wischte er sich die im eisigen Wind lebhaft juckende Nase. Noch fühlte Mikel sich viel zu überwältigt von dem Eindruck, den die Entstehung eines leibhaftigen Drachen aus Dämonen auf ihn ausgeübt hatte, als dass ihn die Frage beschäftigt hätte, wohin R’shiel ihn wohl bringen mochte.
Der Befehl, das Lager abzubrechen, war erst vor wenigen Stunden ergangen, doch hatte man mittlerweile die Mehrzahl der Zelte zusammengepackt; nur das Krankenzelt, das Hauptleute-Speisezelt sowie die Zelte der höheren Führer, allesamt größer als der Rest, standen noch an Ort und Stelle.
Die Hüter hatten es eilig, um den Lagerplatz zu verlassen und eine Auseinandersetzung mit den anrückenden Kariern zu vermeiden. Inzwischen hatte Mikel genug erlebt, um sich darüber im Klaren zu sein, dass nicht die Furcht vor den Kariern die Hüter zur Hast anspornte, sondern das Bestreben, sich zusätzlichen Aufwand zu ersparen, der ihnen durch neue Gefangene entstände.
Im Laufe der verstrichenen Wochen waren Mikels sämtliche Überzeugungen gründlich ins Wanken geraten. Erst hatte Prinzessin Adrina Kronprinz Cratyn betrogen und verraten. Dann hatte Kronprinz Cratyn sich in seinem Verlangen, die Prinzessin für ihre Untreue zu ermorden, als ebenso herzlos und böse wie jeder beliebige Gehörnte erwiesen. Mikels leiblicher Bruder hatte sich den Hythriern angeschlossen, und von seinem besten Freund Dace hatte sich herausgestellt, dass er in Wirklichkeit Dacendaran war, der Gott der Diebe. Und zuletzt hatte sich Prinzessin Adrina gar ohne sonderliches Sträuben mit Damin Wulfskling vermählt.
Und jetzt forderte das sagenumwitterte Dämonenkind, diese baumlange, unduldsame junge Frau, der Dämonen nachsprangen, als wären sie junge Hunde, und der alle Leute nur mit Zagen zu begegnen wagten, von Mikel einen Dienst.
»Gnädigste …?«
»Ja?«
»Was verlangt Ihr von mir?«
Plötzlich blieb R’shiel stehen und lächelte ihm zu. »Ich möchte, dass du mir bei etwas Bestimmtem behilflich bist, Mikel. Bei einer magischen Verrichtung.«
»Kann mir dadurch etwas Übles geschehen?«
Gedämpft lachte das Dämonenkind. »Ich muss den Kariern den Eindruck vermitteln, dass es ihnen angeraten ist, den Heimweg anzutreten. Zu diesem Zweck gilt es die Priester wenigstens zeitweilig dem ›Allerhöchsten‹ abspenstig zu machen. Hast du Angst?«
Mikel zog eine trübsinnige Miene. »Ich glaube nicht. Ich bin ja selbst meinem Gott abtrünnig geworden. Dem Gott der Diebe habe ich gehuldigt, und ich habe geduldet, dass Ihr meinen Prinzen tötet. Mir ist zumute, als wäre ich so tief gesunken, dass ich nichts mehr zu fürchten brauche.«
Tröstend legte R’shiel ihm eine Hand auf die Schulter. »In meinen Augen, Mikel, bist du ein weitaus rechtschaffenerer Bursche, als du es dir gegenwärtig vorstellen kannst.«
Gerne hätte Mikel ihr Glauben geschenkt. Immerhin war sie der Dämonenspross. Vielleicht wusste sie manches, das ihm verborgen blieb. Aber für wahrscheinlich hielt er ihre Behauptung nicht.
»Wenn Ihr es sagt, Gnädigste …«
R’shiel lächelte ein zweites Mal, schwieg jedoch für ein Weilchen. Als sie erneut das Wort ergriff, überraschte ihre Frage Mikel. »Zu wem haben die Karier gebetet, bevor sich Xaphista zu ihrem Gott aufschwang?«
»Die Priester lehren, sie hätten falsche Götzen verehrt«, antwortete Mikel, »so wie es heute noch in Hythria und Fardohnja geschieht.«
»Mag sein, aber es muss eine vorherrschende Gottheit gegeben haben. In Hythria hat Zegarnald großen Einfluss, und in Fardohnja ist anscheinend Jelanna die beliebteste Göttin.«
»Die einzige alte Gottheit, von der ich je gehört habe, ist Leylanan«, gestand Mikel nach kurzem Überlegen.
»Was ist er für ein Gott?«
»Sie, nicht er. Leylanan war die Flussgöttin.«
»Ich dachte«, äußerte R’shiel, »die Flussgöttin sei Maera.«
»Leylanan war die Göttin des Eisernen Flusses. Maera ist wohl die Göttin des Gläsernen Flusses.«
R’shiel dachte eine Weile nach; schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, sie kann mir nichts nutzen. Es muss etwas anderes her.«
Mikel blieb sich im Unklaren, was sie meinte oder ob sie überhaupt noch mit ihm redete. Ihre Stimme klang, als spräche sie lediglich ihre Gedankengänge laut aus.
»Haltet Ihr es wirklich für erreichbar, Gnädigste, die Priester vom Allerhöchsten abzukehren?«
»Es muss mir gelingen.«
Mikel hatte das Gefühl, dass
Weitere Kostenlose Bücher