Dämonisches Tattoo
deren Ränder abgestoßen und schon ein wenig verschmutzt waren, und hielt sie Chase entgegen. »Falls Sie es sich doch noch anders überlegen, rufen Sie mich an.«
Da Chase nicht länger diskutieren wollte, nahm er die Karte und schob sie in seine Sakkotasche. »Danke.« Er begleitete den Indianer zur Absperrung und beobachtete, wie der Mann darunter hindurchtauchte und ein Stück die Straße hinunter zu seinem Wagen ging.
»Voodoo-Kram?«, erkundigte sich der Officer, der den Indianer zu ihm geführt hatte. Dann seufzte er. »Tut mir leid, dass ich Ihre Zeit mit dem Kerl verschwendet habe. Das ist eine der Nebenwirkungen bei Fällen wie diesem: Die Spinner kriechen aus allen Löchern und behaupten helfen zu können.«
Ben Summers, der gerade seine Fotoausrüstung über den Rasen schleppte, hatte die letzten Worte mitbekommen. »Vielleicht gibt es wirklich mehr zwischen Himmel und Erde, als wir ahnen?«
Der Officer schnaubte. »Du glaubst auch noch an den Weihnachtsmann, Summers!«
*
Schlecht gelaunt und mit hämmernden Kopfschmerzen kam Chase am späten Nachmittag in Quantico an. Die fünfunddreißig Meilen von Alexandria zur Marinebasis, auf deren weitläufigem Gelände neben der FBI-Akademie unter anderem auch die Spezialeinheit für Serienverbrechen ihren Sitz hatte, waren an ihm vorübergerauscht, ohne dass er mehr von seiner Umwelt wahrgenommen hatte als den fließenden Verkehr um sich herum. Anfangs hatte er noch versucht sich mit Musik abzulenken. Da das laufende Programm jedoch alle paar Minuten von Nachrichten über den neuesten Mord des Schlitzers unterbrochen wurde, hatte er das Radio bald wieder abgeschaltet und sich dem gleichmäßigen Rauschen des Verkehrs und dem Durcheinander seiner eigenen Gedanken ergeben.
Der Killer suchte sich seine Opfer stets in ruhigen Mittelstandsgegenden aus, deren Häuser nicht zu dicht aneinandergebaut waren und in denen es in der Regel weder einen Wachdienst noch Alarmanlagen gab. Als die Morde sich zu häufen begannen und klar wurde, dass es sich um ein und denselben Täter handelte, hatte die Mordkommission sich an das FBI gewandt. Seitdem unterstützten Agenten des örtlichen Field Office die Ermittlungen der D. C. Metro Police, während Chase nach Einsicht der Akten, Gesprächen mit Polizisten und Begutachtung der Tatorte ein Profil des Täters erstellt hatte. Doch obwohl er das Gefühl hatte, ziemlich genau zu wissen, wie dieser Mann tickte, brachte sie das keinen Schritt näher an ihn heran. Nicht, solange es keine Verdächtigen gab. Natürlich hatte es immer wieder jemanden gegeben, der ein Motiv gehabt hätte – eifersüchtige oder gewalttätige Ehemänner, Geschwister, Arbeitskollegen und Vorgesetzte. Doch abgesehen davon, dass sie nicht in das Täterprofil passten und außer Indizien keine wirklichen Beweise vorlagen, gab es nichts, was die jeweiligen Verdächtigen mit den anderen Morden in Verbindung gebracht hätte – weshalb die Polizei in ihren Ermittlungen nie über einen Anfangsverdacht hinausgekommen war.
Mit schnellen Schritten durchquerte Chase das Großraumbüro seiner Abteilung. Es war inzwischen Abend geworden, sodass die meisten Schreibtische bereits verlassen waren. Die wenigen, die noch an ihren Plätzen saßen, bedachten ihn zwar mit neugierigen Blicken, als er vorüberkam, stellten aber keine Fragen.
In seinem Büro angekommen, das er als stellvertretender Abteilungsleiter für sich allein hatte, schloss er die Milchglastür hinter sich und ging zum Schreibtisch. Er schaltete den Computer an und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Sobald das System hochgefahren war, meldete er sich mit seiner Kennung und seinem Sicherheitscode an und rief seine E-Mails ab. Summers hatte ihm bereits die Fotos vom Tatort geschickt. Statt jedoch den Mail-Anhang zu öffnen, lehnte Chase sich im Stuhl zurück und starrte an die Decke. Er hatte noch deutlich genug vor Augen, wie es in Franks Schlafzimmer ausgesehen hatte – dazu brauchte er die Fotos nicht anzusehen. Nicht heute. Während der nächsten Tage und Wochen würde er sich eingehend genug damit beschäftigen müssen.
Eine Weile saß er einfach nur da, den Blick auf die Deckenplatten gerichtet, deren Einheitsgrau ein perfektes Spiegelbild seiner Stimmung war. Für gewöhnlich empfand er die unterschiedlichen Grau- und Silbertöne der Büroeinrichtung als modern und freundlich, heute jedoch strahlten sie etwas zutiefst Niederschmetterndes aus.
Auf der Suche nach einem Kaugummi durchwühlte er die
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